Um nicht gleich mit den ganz Unerfreulichen Dingen zu beginnen: am meisten Lachen musste ich in diesem Abschnitt darüber, was Amalie Skrams bzw. ihrer Figur Peders Vorstellung von Attraktivität ist:
Überhaupt ging es zu Beginn dieses Abschnitts erstmal trügerisch lustig und leichtherzig zu, Sivert organisiert einen Tanzausflug für seine Saufkumpane und einige junge Frauen aus ihrem Bekanntenkreis, auch Petra und ihre Schwester Andrea sind mit von der Partie, und zunächst scheinen alle großes Vergnügen zu haben. Doch der Abend endet für mehrere der Figuren schlimm!
In der Szene, in der Sivert in Streit mit seiner Großmutter Oline gerät und sie brutal von sich schubst, weil er vor lauter Scham auf keinen Fall will, dass sie seinen Freund*innen begegnet, ist mir beim Lesen schon richtig schlecht geworden, aber ich hatte anfangs noch einen kleinen Funken Hoffnung, dass Oline den Sturz vielleicht doch überlebt hat. Aber später im Text kam dann die traurige Gewissheit: Sivert ist tatsächlich zum Mörder seiner eigenen Großmutter geworden. An dieser Stelle war ich wirklich aufrichtig geschockt und musste das Buch erstmal kurz beiseite legen. Und ich habe den Verdacht, euch ging es da ähnlich:
Auch für Petras Schwester Andrea nimmt der feucht-fröhliche Tanzabend eine unschöne Wendung (auch wenn sie selbst das vermutlich gar nicht so sieht): der stolze, reiche Ravn (Lydias ehemaliger Freier), mit dem sie als dessen Geliebte zusammenlebt, ist außer sich vor Wut darüber, dass sie ohne seine Erlaubnis auf den Tanzabend gegangen ist, holt sie von dort ab und verprügelt sie zuhause dann aufs heftigste.
Fast noch schlimmer als diese körperliche Gewalt fand ich aber den psychischen Missbrauch, der in dieser Szene deutlich wird. Andrea hat sich so tief in die Koabhängigkeit dieser toxischen Beziehung verstrickt, dass sie die häusliche Gewalt nicht als solche, sondern im Gegenteil als ersten richtigen Beweis von Ravns Liebe für sie betrachtet. Und Andreas unterwürfige Reaktion wiederum weckt in Ravn die Idee, Andrea für ein Jahr lang im Haus seiner Tante erziehen und zur perfekten Partnerin für sich formen zu lassen (bzw. abrichten zu lassen wie einen Hund!), um sie dann anschließend zu heiraten.
Andrea betrachtet diese Wendung natürlich als unfassbares Glück, für uns moderne Leser*innen dagegen klingt das eher wie der Anfang eines Psychothrillers…
Andreas Schwester Petra ist es zunächst kaum besser ergangen, sie hat sich in eine ebenfalls sehr ungesunde Affäre mit dem Konsul verstrickt und Hoffnungen darauf gemacht, er würde sie nach dem Tod seiner kranken Gattin heiraten — aber nichts liegt dem Konsul ferner, der sich stattdessen, nachdem seine Frau tatsächlich stirbt, wie von ihr vorhergesehen mit Lydia Munthe verlobt. Vorher enthüllt er uns in seinem inneren Monolog nach dem Tod seiner Frau aber noch ein schockierendes Geheimnis:
Tatsächlich gelingt es Petra schließlich, sich auch emotional vom Konsul zu lösen, aber sie gerät dabei vom Regen in die Traufe, denn sie verlobt sich ausgerechnet mit Sivert. Und dann erfahren wir endlich, was es mit dem Titel des Buches S.G. Myre auf sich hat. Auch wenn der dritte Band einigermaßen zuversichtlich endet, kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass das eine glückliche Ehe wird!
Und ihr, was denkt ihr, wie sich das mit den beiden noch entwickeln wird? Und was ist euch sonst in diesem Abschnitt besonders aufgefallen? Was ist euer Fazit am Ende dieses dritten Bandes?
Nächste Woche beginnen wir unseren Endspurt mit derm ersten Teil des vierten Bandes, Die nächste Generation, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, aber vorher möchte ich dringend all eure Gedanken zum Ende des dritten Bands hören!
es ist schön eure Lesegedanken zu lesen - Zustimmung und Erkennen: Oh, Sivert!! - das habe ich auch immer wieder gedacht... denn mein zusammenfassendes Fazit ist Verwunderung für und große Achtung vor Amalie Skram, dass sie mich Personen mögen lässt, die (fast alle) so Unmögliches machen. Ob das Leben in Norwegen zu der Zeit tatsächlich so war - so fremd und schwer und ausweglos - ich glaube es ihr, und das hat mich beim Lesen unglaublich mitgerissen. Ich habe auch so gehofft, dass Sivert Oline nicht umgebracht hätte... dass Petra nicht immer wieder zu diesem Konsul geht... eigentlich auch, dass Oline nicht immer wieder trinkt (denn auch sie hatte ich doch schon in einer sehr frühen Szene, als sie ins Wirtshaus entwischt war, liebgewonnen), dass Ravn mal etwas abkriegt (ok, doch nicht alle liebgewonnen). Aber es ist erstaunlich, wie das Buch Kulissen eröffnet, als wäre man mittendrin.
Ja, bei all dem Frust über die Entscheidungen und Handlungen der einzelnen Figuren gibt man beim Lesen doch die Hoffnung nie ganz auf und bleibt am Ball.
Ich habe gerade Magdas Zusammenfassung und Gedanken gelesen und kann nur feststellen, mir ist es ähnlich ergangen. Beim Lesen flog ich von einer Ohnmacht in die nächste… Erschüttert hat mich , dass Sivert zum Mörder seiner Großmutter geworden ist . Würde ein heutiges Gericht die Tat als Totschlag bewerten? Egal, auf jeden Fall ist Sivert wieder einmal in eine äußerst missliche Lage geraten, weil er um Anerkennung in der Gesellschaft kämpft, sich für seine Herkunft schämt und sich dadurch wiederholt zu unkontrollierten Handlungen hinreißen lässt. Fassungslos macht mich, dass alle in der Familie, in der Gesellschaft Bergens, den Tod als Unfall aufgrund von Olines Trunkenheit hinnehmen und nicht infrage stellen. Olines Leben scheint wertlos; vermutlich sind die meisten erleichtert, sie los zu sein. Was hat Peder eigentlich gesehen, der ja am Tatort aufgetaucht war?
Diese erniedrigende Szene zwischen Ravn und Andrea war kaum zu ertragen. Es ist aber auch heute noch ein funktionierendes Beziehungsschema: Frauen kehren zu ihrem schlagenden Mann zurück oder ziehen ihre Anzeige vor Gericht zurück, weil er sich bessern will und sie schließlich liebt. Ich frage mich, wie können wir diese heute noch funktionierenden Muster aufbrechen ? Was muss Erziehung/Bildung/ Gesellschaft leisten, damit jeder Mensch sich als wertvoll wahrnimmt und jegliche erniedrigende Behandlung entschieden zurückweisen kann?
Viele Gedanken habe ich mir über das Ehepaar Virs gemacht, die Sivert zwar entlassen haben, jedoch seine „Schandtaten“ nicht öffentlich bekannt gaben. Ich muss immer etwas Positives in Menschen finden… :-). Verkörpern diese das Soziale, Fürsorgliche? Gibt es in dieser Ehe einen gleichberechtigten Umgang miteinander, denn Madams Meinung wird ernst genommen. Für sie scheint Sivert eine Art Sohn zu sein.
Petras Schicksal hat mich tief berührt. Nachdem sie sich endlich von ihren unrealistischen Träumen verabschiedet hat, muss sie sich eingestehen, dass aus ihrer Sicht, ihre Schwester Andrea, ein besseres Los als sie gezogen hat. Die Wirklichkeit kennt sie ja nicht. Möglicherweise würde sie sich als „Kind ihrer Zeit“ sogar auf Ravns Seite stellen und Andrea mit Vorwürfen überschütten, weil sie an diesem Ausflug teilgenommen hatte. Nun nimmt Petra doch Siverts Antrag an, denn eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben sieht sie für sich nicht. Interessant fand ich, Siverts „Hellsichtigkeit“ hinsichtlich der Großzügigkeit des Konsuls ihnen gegenüber. Petra und Sivert kommen mir beide wie Gefangene ihres Schicksals und der vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse vor. Ein guter Stern steht über dieser Beziehung wohl kaum.
Amalie Skram gibt einen grandiosen Einblick in das gesellschaftliche Leben der reichen und armen Menschen Bergens. Ich habe den Eindruck, dass sie aufgrund ihrer eigenen Biografie den Fokus insbesondere auf die Frauen legt, doch stellt sie ebenfalls die männlichen Charaktere differenziert da. Das gefällt mir an diesen Büchern sehr. Nun bin ich gespannt auf Band 4.
Das Ehepaar Virs hat mich in seiner Güte und Bereitschaft, über Siverts Verfehlungen, so weit es halt möglich ist, hinwegzusehen, sehr an die beiden Franzosen aus dem zweiten Band erinnert. Auch die hatten ja großzügig beide Augen zugedrückt und wenn Siverts vermaledeiter Stolz bzw. seine Scham über seine Herkunft nicht gewesen wären, hätten sie ihm womöglich zu einer viel glücklicheren Zukunft verhelfen können. Ich vermute auch, wenn Sivert von anfang an Virs und seiner Frau gegenüber ehrlich über seine (finanziellen) Probleme gewesen wäre, statt einfach von ihnen zu stehlen, wären sie sicher bereit gewesen, ihm zu helfen. Er steht sich immer selbst im Weg.
Ein quälendes Spektakel war diese Etappe für mich. Als hätte Amalie Skram es darauf angelegt, den Leser*innen möglichst viele Schmerzen zu bereiten. Immer wieder steht Sivert im Mittelpunkt, obwohl doch auch die anderen Personen mal etwas mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Ob Mord, Diebstahl oder Betrug. Alles kann sich Sivert leisten. Immer tut sich eine neue Tür zum Glück auf. Sivert, Sivert, Sivert. Das hält man ja kaum aus.
Und dass sich dann auch noch Andrea diesem Scheusal Ravn so sklavisch unterwirft fand ich schrecklich und irritierend.
Es lässt nichts gutes für den letzten Band erwarten, dass die tapfere Petra sich schließlich mit Sivert verlobt. Das kann eigentlich kein gutes Ende nehmen. Ich bin sehr gespannt und kann es kaum erwarten, weiterzulesen…
Ich tat mich mit der letzten Etappe dieses Bandes auch wirklich schwer, weil es so wenige fröhliche Lichtblicke darin gab zwischen all den düsteren, tragischen, brutalen Ereignissen.
Da kann ich nur zustimmen: Ich hätte auch sehr gerne mehr von den übrigen Mitgliedern der Hellemyr-Familie gelesen, von Ingeborg, Jens und Marthe… ich fand auch das Leben auf dem kleinen Hof im ersten Band sehr beeindruckend zu lesen und wüsste gerne, wer nach Olines Tod nun dort lebt - oder habe ich was überlesen?
Ich glaube, nach dem Tod von Sjur Gabriel wurde das thematisiert, dass Oline von einem ihrer Kinder bei sich aufgenommen werden sollte und irgendeine ander (entfernt verwandte?) Familie den Hof übernehmen sollte, aber an die genauen Details erinnere ich mich leider nicht mehr.
Der bisher unauffällig gebliebene Ravn wird zum toxischen Ekelpaket. Ich wollte Andrea nur noch zurufen Lauf! LAUF! Stattdessen lässt sie sich von ihm „erziehen“ und heiratet ihn. Am Ende meinen die Leute, sie wäre hochnäsig geworden - man weiß nicht, ob es so ist, oder ob Ravn ihr den Umgang zu ihren Leuten verboten hat.
MIt dem Konsul hatte ich schon fast Mitleid, als er doch um seine Frau getrauert hat - aber nein, es waren die Schuldgefühle, dass er wohl schuld ist an ihrem Tod. Und jetzt nimmt er sich gleich die nächste und „versorgt“ Petra. Diese wiederum bleibt nach ihrer Fehlgeburt kränklich - hat der Konsul sie etwa auch angesteckt?
Und Sivert! SIVERT!!! Ich dachte wirklich, nachdem er nach seinen Untaten in dieser Armenabsteige gelandet ist, kommt er nicht mehr hoch. Und was passiert: Durch eine unpackbar dreiste Lüge bekommt er die Stelle beim Konsul und kommt später auch noch zu seinem S.G.Myre.
Im Vergleich zu diesen Männern wurde mir nachträglich Sur Gabriel fast noch sympathisch.
Bin sehr gespannt, wie das in der nächsten Generation weitergeht und welche Figuren aus diesem Band wir dann noch treffen. Sehr interessant wird die Beziehung zwischen Sivert und Petra. Die Passagen zwischen den beiden fand ich ein bisschen befremdlich. Da sagt sie schon, dass sie ihn heiratet, aber dann will er sie nur, wenn sie ihn liebt? Nach den Szenen kann man sich nicht vorstellen, dass das eine glückliche Ehe wird. Und überhaupt, Sivert bleibt doch Sivert, was wird er im nächsten Band anstellen?
Die arme Petra tat mir so unglaublich leid, auch dass sie den Schrecken der Schwangerschaft und dann die Fehlgeburt so ganz alleine und ohne Unterstützung durchstehen musste, weil sie ja niemandem davon erzählen konnte.
Zwei Dinge kann ich nach Abschluss der drei Bände schon mal mitnehmen: es gibt in diesem Leben keine Partnerschaften, die auf Liebe basieren. Alkohol zerstört alles.
Und bitte, was für ein unreflektierter Scheisskerl ist der Konsul eigentlich? Steckt wegen seiner Rumvöglerei seine Frau an und macht sie bettlägerig und sie erteilt ihm die Absolution, um sich nebenbei weiter zu vergnügen UND sucht ihm auch noch eine blutjunge Nachfolgerin?
Sivert, tja nun. Am Ende bekommt er, was er verdient: eine Frau, die ihn nicht liebt und sich nur absichern will. Desillusioniert von ihrer Affäre, die sie in ihrer Naivität für Liebe hielt, nimmt sie seinen Heiratsantrag an.
Ist das genug Strafe für die Schuld am Tod der Großmutter? Vermutlich nicht und insgeheim möchte ich ihn leiden sehen. Sein ganzer vermeintlicher Erfolg ist auf Leid und Lügen aufgebaut.
Ravn ist ein seltsamer Typ. Immerhin heiratet er Andrea. Das sichert sie wenigstens ab. Trotzdem ist diese Beziehung toxisch, ich bin gespannt, wo sie hinführt. Ich befürchte, physische und psychische Gewalt wird eine große Rolle spielen.
Ich finde es ganz interessant, wie Amalie Skram zeigt, dass sich häusliche Gewalt durch alle Schichten zieht und in armen, ungebildeten Verhältnissen ebenso floriert wie in den gehobeneren Kreisen. Denn im ersten Band war es ja Sjur Gabriel, der seine Frau immer wieder verprügelt hat, aber dieser Band zeigt, dass der hochgebildete und gut betuchte Ravn in der Hinsicht keinen Deut besser ist.
Wie schafft es Amalie Skram nur immer wieder, mich in meinen Sympathien für die Figuren so schwanken zu lassen? Ich war doch fertig mit Sivert. Und dann geht es in Kapitel XX gleich so los: „Ja, er hatte zwei Seiten. Und die eine war stärker als die andere, stärker in all dem Bösen, Geilen und Verrückten, einfach zum Zerreißen lustig und wild. Das war die Person, die den Kameraden gefiel…Die andere Person, die still war, sich grämte und schämte, die kannten sie nicht“ (S.268). Was für eine ergreifende Selbstanalyse. Sein verzweifelter Wunsch nach einem Menschen, der ihm Halt gibt, hat mir Sivert wieder nahe gebracht. Aber natürlich war mir klar, dass er wieder ins Unglück laufen würde. Ich weiß nicht, ob wir hier juristisch von Mord sprechen können. Ich denke nicht, dass er vorhatte, seine Großmutter zu töten. Er hätte nach dem Unfall aber sofort Hilfe holen müssen. Die Schuld wird er nicht mehr los werden.
Das Verhältnis von Andrea zu Ravn hat Magda schon deutlich beschrieben. Einfach nur gruselig!
Auf den Konsul bin ich furchtbar wütend! Hat er doch höchstwahrscheinlich die Krankheit seiner Frau zu verantworten. Ich will ihm zugute halten, dass sein medizinisches Wissen nicht auf unserem Stand war.
Er ist nicht ohne Moral. Ich könnte sagen, er will sein schlechtes Gewissen erleichtern, indem er Sivert und Petra finanziell großzügig unterstützt. Ich glaube aber auch, dass er eine gewisse moralische Verpflichtung spürt.
Ja, und über der Verbindung von Sivert und Petra steht bestimmt kein guter Stern.
Was hat mich sonst noch beeindruckt? Wie schlau und gerissen Sivert ist. Er vermutet sofort, dass zwischen Petra und dem Konsul etwas gewesen ist. Die Höhe der Zuwendung scheint ihm zu recht nicht geheuer.
Immer wieder erschüttert es mich, dass Sivert es nicht schafft, sein Leben zu gestalten. Denn er kann fleißig und gewissenhaft sein, das beweist er ja häufiger. Erstaunlich auch, dass er immer wieder neue Chancen bekommt. Ich fürchte, eines Tages wird sein ganzes Lügengebilde über ihm einstürzen.
Mit Sivert geht es mir genauso, das kann einfach nicht gut enden. Und mit jeder Seite wird es tragischer...und ja, wirklich eine sehr eindrückliche Warnung vor dem Alkoholkonsum.
Interessant fand ich, dass Petra erst so richtig an die Ehe mit Sivert zu glauben scheint, als sie erfährt, dass er mit Lydia eine ähnliche Erfahrung gemacht hat wie sie mit dem Konsul. Ich bin auch sehr skeptisch, dass die Ehe unter einem guten Stern steht...
Ich bin gespannt, ob wir im nächsten Band noch einmal mehr von Siverts Familie hören werden, die ist mit den ganzen neuen Charakteren ein wenig zu kurz gekommen, finde ich.
Liebe Leserunde,
es ist schön eure Lesegedanken zu lesen - Zustimmung und Erkennen: Oh, Sivert!! - das habe ich auch immer wieder gedacht... denn mein zusammenfassendes Fazit ist Verwunderung für und große Achtung vor Amalie Skram, dass sie mich Personen mögen lässt, die (fast alle) so Unmögliches machen. Ob das Leben in Norwegen zu der Zeit tatsächlich so war - so fremd und schwer und ausweglos - ich glaube es ihr, und das hat mich beim Lesen unglaublich mitgerissen. Ich habe auch so gehofft, dass Sivert Oline nicht umgebracht hätte... dass Petra nicht immer wieder zu diesem Konsul geht... eigentlich auch, dass Oline nicht immer wieder trinkt (denn auch sie hatte ich doch schon in einer sehr frühen Szene, als sie ins Wirtshaus entwischt war, liebgewonnen), dass Ravn mal etwas abkriegt (ok, doch nicht alle liebgewonnen). Aber es ist erstaunlich, wie das Buch Kulissen eröffnet, als wäre man mittendrin.
Ja, bei all dem Frust über die Entscheidungen und Handlungen der einzelnen Figuren gibt man beim Lesen doch die Hoffnung nie ganz auf und bleibt am Ball.
Ich habe gerade Magdas Zusammenfassung und Gedanken gelesen und kann nur feststellen, mir ist es ähnlich ergangen. Beim Lesen flog ich von einer Ohnmacht in die nächste… Erschüttert hat mich , dass Sivert zum Mörder seiner Großmutter geworden ist . Würde ein heutiges Gericht die Tat als Totschlag bewerten? Egal, auf jeden Fall ist Sivert wieder einmal in eine äußerst missliche Lage geraten, weil er um Anerkennung in der Gesellschaft kämpft, sich für seine Herkunft schämt und sich dadurch wiederholt zu unkontrollierten Handlungen hinreißen lässt. Fassungslos macht mich, dass alle in der Familie, in der Gesellschaft Bergens, den Tod als Unfall aufgrund von Olines Trunkenheit hinnehmen und nicht infrage stellen. Olines Leben scheint wertlos; vermutlich sind die meisten erleichtert, sie los zu sein. Was hat Peder eigentlich gesehen, der ja am Tatort aufgetaucht war?
Diese erniedrigende Szene zwischen Ravn und Andrea war kaum zu ertragen. Es ist aber auch heute noch ein funktionierendes Beziehungsschema: Frauen kehren zu ihrem schlagenden Mann zurück oder ziehen ihre Anzeige vor Gericht zurück, weil er sich bessern will und sie schließlich liebt. Ich frage mich, wie können wir diese heute noch funktionierenden Muster aufbrechen ? Was muss Erziehung/Bildung/ Gesellschaft leisten, damit jeder Mensch sich als wertvoll wahrnimmt und jegliche erniedrigende Behandlung entschieden zurückweisen kann?
Viele Gedanken habe ich mir über das Ehepaar Virs gemacht, die Sivert zwar entlassen haben, jedoch seine „Schandtaten“ nicht öffentlich bekannt gaben. Ich muss immer etwas Positives in Menschen finden… :-). Verkörpern diese das Soziale, Fürsorgliche? Gibt es in dieser Ehe einen gleichberechtigten Umgang miteinander, denn Madams Meinung wird ernst genommen. Für sie scheint Sivert eine Art Sohn zu sein.
Petras Schicksal hat mich tief berührt. Nachdem sie sich endlich von ihren unrealistischen Träumen verabschiedet hat, muss sie sich eingestehen, dass aus ihrer Sicht, ihre Schwester Andrea, ein besseres Los als sie gezogen hat. Die Wirklichkeit kennt sie ja nicht. Möglicherweise würde sie sich als „Kind ihrer Zeit“ sogar auf Ravns Seite stellen und Andrea mit Vorwürfen überschütten, weil sie an diesem Ausflug teilgenommen hatte. Nun nimmt Petra doch Siverts Antrag an, denn eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben sieht sie für sich nicht. Interessant fand ich, Siverts „Hellsichtigkeit“ hinsichtlich der Großzügigkeit des Konsuls ihnen gegenüber. Petra und Sivert kommen mir beide wie Gefangene ihres Schicksals und der vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse vor. Ein guter Stern steht über dieser Beziehung wohl kaum.
Amalie Skram gibt einen grandiosen Einblick in das gesellschaftliche Leben der reichen und armen Menschen Bergens. Ich habe den Eindruck, dass sie aufgrund ihrer eigenen Biografie den Fokus insbesondere auf die Frauen legt, doch stellt sie ebenfalls die männlichen Charaktere differenziert da. Das gefällt mir an diesen Büchern sehr. Nun bin ich gespannt auf Band 4.
Das Ehepaar Virs hat mich in seiner Güte und Bereitschaft, über Siverts Verfehlungen, so weit es halt möglich ist, hinwegzusehen, sehr an die beiden Franzosen aus dem zweiten Band erinnert. Auch die hatten ja großzügig beide Augen zugedrückt und wenn Siverts vermaledeiter Stolz bzw. seine Scham über seine Herkunft nicht gewesen wären, hätten sie ihm womöglich zu einer viel glücklicheren Zukunft verhelfen können. Ich vermute auch, wenn Sivert von anfang an Virs und seiner Frau gegenüber ehrlich über seine (finanziellen) Probleme gewesen wäre, statt einfach von ihnen zu stehlen, wären sie sicher bereit gewesen, ihm zu helfen. Er steht sich immer selbst im Weg.
Ein quälendes Spektakel war diese Etappe für mich. Als hätte Amalie Skram es darauf angelegt, den Leser*innen möglichst viele Schmerzen zu bereiten. Immer wieder steht Sivert im Mittelpunkt, obwohl doch auch die anderen Personen mal etwas mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Ob Mord, Diebstahl oder Betrug. Alles kann sich Sivert leisten. Immer tut sich eine neue Tür zum Glück auf. Sivert, Sivert, Sivert. Das hält man ja kaum aus.
Und dass sich dann auch noch Andrea diesem Scheusal Ravn so sklavisch unterwirft fand ich schrecklich und irritierend.
Es lässt nichts gutes für den letzten Band erwarten, dass die tapfere Petra sich schließlich mit Sivert verlobt. Das kann eigentlich kein gutes Ende nehmen. Ich bin sehr gespannt und kann es kaum erwarten, weiterzulesen…
Ich tat mich mit der letzten Etappe dieses Bandes auch wirklich schwer, weil es so wenige fröhliche Lichtblicke darin gab zwischen all den düsteren, tragischen, brutalen Ereignissen.
Da kann ich nur zustimmen: Ich hätte auch sehr gerne mehr von den übrigen Mitgliedern der Hellemyr-Familie gelesen, von Ingeborg, Jens und Marthe… ich fand auch das Leben auf dem kleinen Hof im ersten Band sehr beeindruckend zu lesen und wüsste gerne, wer nach Olines Tod nun dort lebt - oder habe ich was überlesen?
Ich glaube, nach dem Tod von Sjur Gabriel wurde das thematisiert, dass Oline von einem ihrer Kinder bei sich aufgenommen werden sollte und irgendeine ander (entfernt verwandte?) Familie den Hof übernehmen sollte, aber an die genauen Details erinnere ich mich leider nicht mehr.
Ja, das stimmt. Das hat mich auch erstaunt. Vom Hof ist eigentlich nur noch Siverts neuer Name übriggeblieben.
Was für ein Leseabschnitt! Diese Männer!
Der bisher unauffällig gebliebene Ravn wird zum toxischen Ekelpaket. Ich wollte Andrea nur noch zurufen Lauf! LAUF! Stattdessen lässt sie sich von ihm „erziehen“ und heiratet ihn. Am Ende meinen die Leute, sie wäre hochnäsig geworden - man weiß nicht, ob es so ist, oder ob Ravn ihr den Umgang zu ihren Leuten verboten hat.
MIt dem Konsul hatte ich schon fast Mitleid, als er doch um seine Frau getrauert hat - aber nein, es waren die Schuldgefühle, dass er wohl schuld ist an ihrem Tod. Und jetzt nimmt er sich gleich die nächste und „versorgt“ Petra. Diese wiederum bleibt nach ihrer Fehlgeburt kränklich - hat der Konsul sie etwa auch angesteckt?
Und Sivert! SIVERT!!! Ich dachte wirklich, nachdem er nach seinen Untaten in dieser Armenabsteige gelandet ist, kommt er nicht mehr hoch. Und was passiert: Durch eine unpackbar dreiste Lüge bekommt er die Stelle beim Konsul und kommt später auch noch zu seinem S.G.Myre.
Im Vergleich zu diesen Männern wurde mir nachträglich Sur Gabriel fast noch sympathisch.
Bin sehr gespannt, wie das in der nächsten Generation weitergeht und welche Figuren aus diesem Band wir dann noch treffen. Sehr interessant wird die Beziehung zwischen Sivert und Petra. Die Passagen zwischen den beiden fand ich ein bisschen befremdlich. Da sagt sie schon, dass sie ihn heiratet, aber dann will er sie nur, wenn sie ihn liebt? Nach den Szenen kann man sich nicht vorstellen, dass das eine glückliche Ehe wird. Und überhaupt, Sivert bleibt doch Sivert, was wird er im nächsten Band anstellen?
Die arme Petra tat mir so unglaublich leid, auch dass sie den Schrecken der Schwangerschaft und dann die Fehlgeburt so ganz alleine und ohne Unterstützung durchstehen musste, weil sie ja niemandem davon erzählen konnte.
Interessanter Gedanke zur „Hochnäsigkeit“ von Andrea!
Zwei Dinge kann ich nach Abschluss der drei Bände schon mal mitnehmen: es gibt in diesem Leben keine Partnerschaften, die auf Liebe basieren. Alkohol zerstört alles.
Und bitte, was für ein unreflektierter Scheisskerl ist der Konsul eigentlich? Steckt wegen seiner Rumvöglerei seine Frau an und macht sie bettlägerig und sie erteilt ihm die Absolution, um sich nebenbei weiter zu vergnügen UND sucht ihm auch noch eine blutjunge Nachfolgerin?
Sivert, tja nun. Am Ende bekommt er, was er verdient: eine Frau, die ihn nicht liebt und sich nur absichern will. Desillusioniert von ihrer Affäre, die sie in ihrer Naivität für Liebe hielt, nimmt sie seinen Heiratsantrag an.
Ist das genug Strafe für die Schuld am Tod der Großmutter? Vermutlich nicht und insgeheim möchte ich ihn leiden sehen. Sein ganzer vermeintlicher Erfolg ist auf Leid und Lügen aufgebaut.
Ravn ist ein seltsamer Typ. Immerhin heiratet er Andrea. Das sichert sie wenigstens ab. Trotzdem ist diese Beziehung toxisch, ich bin gespannt, wo sie hinführt. Ich befürchte, physische und psychische Gewalt wird eine große Rolle spielen.
Ich finde es ganz interessant, wie Amalie Skram zeigt, dass sich häusliche Gewalt durch alle Schichten zieht und in armen, ungebildeten Verhältnissen ebenso floriert wie in den gehobeneren Kreisen. Denn im ersten Band war es ja Sjur Gabriel, der seine Frau immer wieder verprügelt hat, aber dieser Band zeigt, dass der hochgebildete und gut betuchte Ravn in der Hinsicht keinen Deut besser ist.
Wie schafft es Amalie Skram nur immer wieder, mich in meinen Sympathien für die Figuren so schwanken zu lassen? Ich war doch fertig mit Sivert. Und dann geht es in Kapitel XX gleich so los: „Ja, er hatte zwei Seiten. Und die eine war stärker als die andere, stärker in all dem Bösen, Geilen und Verrückten, einfach zum Zerreißen lustig und wild. Das war die Person, die den Kameraden gefiel…Die andere Person, die still war, sich grämte und schämte, die kannten sie nicht“ (S.268). Was für eine ergreifende Selbstanalyse. Sein verzweifelter Wunsch nach einem Menschen, der ihm Halt gibt, hat mir Sivert wieder nahe gebracht. Aber natürlich war mir klar, dass er wieder ins Unglück laufen würde. Ich weiß nicht, ob wir hier juristisch von Mord sprechen können. Ich denke nicht, dass er vorhatte, seine Großmutter zu töten. Er hätte nach dem Unfall aber sofort Hilfe holen müssen. Die Schuld wird er nicht mehr los werden.
Das Verhältnis von Andrea zu Ravn hat Magda schon deutlich beschrieben. Einfach nur gruselig!
Auf den Konsul bin ich furchtbar wütend! Hat er doch höchstwahrscheinlich die Krankheit seiner Frau zu verantworten. Ich will ihm zugute halten, dass sein medizinisches Wissen nicht auf unserem Stand war.
Er ist nicht ohne Moral. Ich könnte sagen, er will sein schlechtes Gewissen erleichtern, indem er Sivert und Petra finanziell großzügig unterstützt. Ich glaube aber auch, dass er eine gewisse moralische Verpflichtung spürt.
Ja, und über der Verbindung von Sivert und Petra steht bestimmt kein guter Stern.
Was hat mich sonst noch beeindruckt? Wie schlau und gerissen Sivert ist. Er vermutet sofort, dass zwischen Petra und dem Konsul etwas gewesen ist. Die Höhe der Zuwendung scheint ihm zu recht nicht geheuer.
Immer wieder erschüttert es mich, dass Sivert es nicht schafft, sein Leben zu gestalten. Denn er kann fleißig und gewissenhaft sein, das beweist er ja häufiger. Erstaunlich auch, dass er immer wieder neue Chancen bekommt. Ich fürchte, eines Tages wird sein ganzes Lügengebilde über ihm einstürzen.
Herzlichen Dank für die Genesungswünsche!
Susanne
Mit Sivert geht es mir genauso, das kann einfach nicht gut enden. Und mit jeder Seite wird es tragischer...und ja, wirklich eine sehr eindrückliche Warnung vor dem Alkoholkonsum.
Interessant fand ich, dass Petra erst so richtig an die Ehe mit Sivert zu glauben scheint, als sie erfährt, dass er mit Lydia eine ähnliche Erfahrung gemacht hat wie sie mit dem Konsul. Ich bin auch sehr skeptisch, dass die Ehe unter einem guten Stern steht...
Ich bin gespannt, ob wir im nächsten Band noch einmal mehr von Siverts Familie hören werden, die ist mit den ganzen neuen Charakteren ein wenig zu kurz gekommen, finde ich.