Von Drachen, Knochenfunden und erfolgreicher Ehevermittlung
oder auch: was die Space Raptor Butt Invasion mit christlichem Fundamentalismus zu tun hat
Ihr Lieben,
gerade ist für mich eine sehr aufregende Zeit, die Buchreihe rororo Entdeckungen, die Nicole Seifert und ich gemeinsam herausgeben, steht jetzt so richtig in den Startlöchern, die ersten drei Titel erscheinen bald, erste Veranstaltungen dazu sind geplant (dazu weiter unten mehr), die nächsten drei Titel (Frühjahrsprogramm 2024) stehen hinter den Kulissen schon in den Startlöchern (gerade warten wir gemeinsam mit dem Verlag auf die ersten Coverentwürfe), und parallel lesen Nicole und ich natürlich fleißig weiter lauter vergessene und vergriffene Romane der letzten hundert Jahre, um bald schon wieder die nächsten Bücher für die Reihe festzulegen. Das alles macht großen Spaß (und viel Arbeit) und nimmt deshalb momentan viel Raum und Energie ein — ich bin froh, dass ich trotzdem zwischendrin auch immer Mal wieder etwas Zeit für andere Lektüren finde, von denen ich euch heute berichten will.
In meinem letzten Newsletter ging es ja hauptsächlich um die Assoziationsketten, die die Lektüre des Twitter-Hype-Buchs This Is How You Lose the Time War bei mir angestoßen hatte, und am Ende hatte ich euch versprochen, in der nächsten Ausgabe auf das in dem Roman erwähnte Lieblingsbuch der Figuren Red und Blue einzugehen. Dabei handelt es sich um die 1952 erschienene fantastische Erzählug Travel Light (dt. Eine Reise durch die Zeit, Ü: Manfred Ohl & Hans Sartorius, leider lange vergriffen — wie wäre es mit einer Neuauflage, Klett-Cotta?) der schottischen Autorin Naomi Mitchison.
Mitchison, die 1897 geboren ist und über hundert Jahre alt wurde, scheint eine sehr faszinierende Persönlichkeit gewesen zu sein, die nicht nur über 90 Bücher (darunter historische Romane, Science Fiction, Memoiren, Reiseberichte, Kinderbücher uvm.) geschrieben und veröffentlicht, sondern sich auch Zeit ihres Lebens als politische Aktivistin betätigte — sie war Sozialistin, Anti-Faschistin und setzte sich für Frauenrechte ein; andererseits war sie auch, wie viele britische Feministinnen aus gehobenen Gesellschaftsschichten zu dieser Zeit, Mitglied der Eugenics Society, die sich u.a. für Geburtenkontrollen einsetzte. Der Nachruf auf Mitchison, der nach ihrem Tod in der New York Times erschien, enthält folgende lustige Korrektur: "An obituary on Saturday about Naomi Mitchison, the British writer and early feminist, misspelled the surname of the Labor Party leader at whom she once threw a half-plucked partridge. He was Hugh Gaitskell, not Gaitskill." Mitchison war außerdem eine langjährige (Brief)freundin von J.R.R. Tolkien und wurde von dessen Verlag als Korrekturleserin für die ersten beiden Bände des Herrn der Ringe engagiert. Travel Light (dazu gleich mehr) ist bisher das einzige ihrer Bücher, das ich bisher gelesen habe, aber ein paar weitere, die sich sehr faszinierend anhören, stehen jetzt auf meiner Leseliste, darunter die Science-Fiction-Romane Memoirs of a Spacewoman (dt. Memoiren einer Raumfahrerin, Ü: Rosemarie Hundertmarck, vergriffen) und Solution Three (dt. Lösung Drei, Ü: Peter Robert, vergriffen) — letzteres eine feministische Dystopie —, der historische Fantasyroman To the Chapel Perilous (dt. König Artus lässt schön grüssen, Ü: Annette von Charpentier, vergriffen) über mehrere Journalist*innen, die live über die Ereignisse rund um den Hof von König Artus berichten, und Mitchisons wohl bekanntestes Werk The Corn King and the Spring Queen (dt. Kornkönig und Frühlingsbraut, Ü: Annette Charpentier, vergriffen), ein historischer Roman, der vor über 2000 Jahren am Schwarzen Meer von spielt. Aber zurück zu Travel Light, Mitchisons kurzer Fantasyerzählung, der man anmerkt, dass sie Interessen mit Tolkien teilte, darunter eine Faszination für nordische Mythen und Sagen, insbesondere für Drachen. Die Geschichte handelt von Halla, einer Königstochter, die schon als Säugling von ihren Eltern verstoßen wird und zunächst im Wald unter Bären aufwächst (I know!), bevor schließlich ein Drache ihre Erziehung übernimmt. Als Hallas Drachenfreunde von einem "Helden" (dem größten natürlichen Feind der Drachen) gejagt und getötet werden, muss Halla sich auf ihren eigenen Weg machen, sie trifft dabei auf Walküren und sprechende Pferde, wird in politische Intrigen verwickelt, bestohlen und gejagt, schließt Freundschaften und erfährt das Geheimnis ihrer Herkunft, und lernt last but not least, wie wichtig es ist, mit leichtem Gepäck durchs Leben zu ziehen.
Amal El-Mohtar hat ein paar Jahre vor dem Erscheinen von This Is How You Lose The Time War einen Essay über ihre Liebe zu Travel Light veröffentlicht, der viel besser die besondere Magie dieses Buches ausdrückt, als ich es könnte, deshalb beschränke ich mich an dieser Stelle darauf, aus einem anderen Blogpost von El-Mohtar zu zitieren, denn was sie dort (bzgl. Naomi Mitchison) über den Stellenwert von Autorinnen in der Literaturgeschichte und die Wichtigkeit ihrer Wiederentdeckung zu sagen hat, möchte ich genau so unterschreiben:
I genuinely wish I could have met Mitchison. Thinking of Elizabeth Barrett Browning saying that she “looks everywhere for grandmothers and see[s] none” — Mitchison is a woman I would love to count as a grandmother. It breaks my heart that we are always rediscovering great women, excavating them from the relentless soil of homogenizing histories, seeing them forever as exceptions to a rule of sediment and placing them in museums, remarkable more for their gender than for their work.
Most of the writers whose work I love and read today are women. I want them and their writing — ten years from now, fifty, a hundred — to be remembered, and more: to be ubiquitous. To be common knowledge. To spawn imitators and adjectives, “Mitchisonian” to match “Tolkienesque.” I want them to be studied for their excellence and influence in their chosen genres. I want boys to grow up reading and loving them as a matter of course.
I want to feel like this isn’t a huge amount to ask.
Bei meiner Relektüre von Travel Light ist mir übrigens aufgefallen, dass mich persönlich die Schätze hortenten, Prinzessinnen entführenden (oder sich mit diesen anfreundenden), von der germanischen Sagenwelt inspirierten Drachen, wie sie bei Mitchison, Tolkien (neben den Mittelerde-Büchern zum Beispiel auch in seiner Erzählung Farmer Giles of Ham (dt. Bauer Giles von Ham, Ü: Angela Uthe-Spencker und Susanne Held)) und anderen Autor*innen (z.B. in Jasper Ffordes unglaublich witziger Reihe The Last Dragonslayer (dt. Die letzte Drachentöterin, Ü: Isabel Bogdan)) vorkommen, schon immer mehr interessiert haben, als die andere Art von literarischen Drachen, die gerade besonders im Trend sind: Drachen, die von Menschen als Kriegswaffen o.ä. abgerichtet werden, die mit ihren individuellen menschlichen Drachenreiter*innen besondere symbiotische, telepathische oder sonstwie enge persönliche Beziehungen eingehen, um gemeinsam feindliche Armeen etc. zu besiegen, so wie bei den Targaryens in George R.R. Martins Westeros, wie in den Eragon-Büchern von Christopher Paolini, wie in Naomi Noviks Temeraire-Reihe, Anne McCaffreys Klassiker Dragonriders of Pern oder dem neuen BookTok-Hype-Buch Fourth Wing von Rebecca Yarros.
Drei Drachen-Bücher, die ich in näherer (odeer fernerer) Zukunft lesen möchte, weil sie teilweise schon seit Jahren auf meiner Leseliste stehen, sind übrigens:
Jo Waltons Tooth and Claw (dt. Der Clan der Klauen, Ü: Andreas Decker, leider vergriffen), was sich anhört wie ein Jane-Austen-Roman, in dem aber alle Figuren Drachen statt Menschen sind — und wie verlockend klingt das bitte?
Patricia Wredes Jugendbuch Dealing with Dragons (dt. Die Drachenprinzessin, Ü: Carsten Meyer, ebenfalls vergriffen), der erste Band der Enchanted Forest Chronicles, der von der Prinzessin Cimorene erzählt, die sich in ihrem Palastleben so sehr langweilt, dass sie von Zuhause ausreißt, um fortan mit dem gefährlichen Drachen Kazul zusammenzuleben…
Und last but not least: Kelly Barnhills Roman When Women were Dragons, an dem jemand, die so auf "Frauen verwandeln sich in Tiere/Monster"-Romane steht wie ich, bei dieser Beschreibung natürlich unmöglich untätig vorbeigehen kann:
Alex Green is a young girl in a world much like ours, except for its most seminal event: the Mass Dragoning of 1955, when hundreds of thousands of ordinary wives and mothers sprouted wings, scales, and talons; left a trail of fiery destruction in their path; and took to the skies. Was it their choice? What will become of those left behind? Why did Alex’s beloved aunt Marla transform but her mother did not? Alex doesn’t know. It’s taboo to speak of.
Forced into silence, Alex nevertheless must face the consequences of this astonishing event: a mother more protective than ever; an absentee father; the upsetting insistence that her aunt never even existed; and watching her beloved cousin Bea become dangerously obsessed with the forbidden."
Wenn ihr sehr viel online seid, habt ihr vielleicht schonmal von Chuck Tingle gehört, dem legendären, unter Peudonym schreibenden Selfpublishing-Autor queerer, satirischr Erotik-Geschichten mit Titeln wie Space Raptor Butt Invasion, Pounded In The Butt By My Own Butt oder I’m Gay For My Living Billionaire Jet Plane. Dieser Artikel von 2016 erklärt ganz gut, warum Chuck Tingle inzwischen so eine große Fangemeinde um sich versammelt hat, von der auch ich seit mehreren Jahren völlig unironisch ein Teil bin.
Nun hat Chuck Tingle endlich seinen ersten "richtigen" Roman in einem echten großen Verlag veröffentlicht (seine Erotica hat er meist nur als Amazon-eBooks herausgebracht) und ich bin einfach nur hin und weg!
Camp Damascus ist ein Horrorroman (und stellenweise wirklich ziemlich gruselig und auch blutig und eklig), es geht darin u.a. um religiösen und queerfeindlichen Abuse, aber es ist auch und vor allem eine queere und autistische Selbstermächtigungserzählung, eine Liebesgeschichte, eine Story über Found Families und vieles mehr.
Protagonistin ist Rose, eine junge autistische Frau, die bei ihren vermeintlich liebevollen Eltern innerhalb einer fundamentalistischen christlichen Gemeinschaft aufwächst, welche vor allem dafür bekannt ist, ein Gay Conversion Camp mit der angeblich weltweit niedrigsten "Rückfallquote" zu betreiben. Als in ihrem Umfeld immer mehr unerklärliche Dinge (ich möchte nicht spoilern, aber hier wird es teilweise echt gruselig-eklig-brutal) geschehen, beginnt sie Nachforschungen anzustellen und findet heraus, dass die Vorsteher der Kirchengemeinde den "Erfolg" ihrer Konversionstherapie zu einem hohen (und gefährlichen) Preis erkauft haben. Rose weiß, dass es nur eine Lösung gibt: sie muss versuchen, Camp Damascus für vollständig und für immer zu zerstören…
Dieses Buch war so witzig und traurig und berührend! Chuck Tingle ist selbst Autist und Roses Perspektive fühlte sich (aus meiner nicht-autistischen Sicht zumindest) viel authentischer und realistischer an als in anderen bekannten Romanen nicht-autistischer Autor*innen über autistische Figuren. Auch die religiöse Indoktrination, die Jugendliche in evangelikal-fundamentalistischen Gemeinden oft erfahren, war in meinen Augen sehr gut getroffen, ich hab mich immer wieder an Erlebnisse und Beobachtungen, die ich selbst als Teenager während meines High-School-Jahres in einer evangelikalen Gastfamilie gemacht habe, erinnert gefühlt. Und noch dazu ist das Buch ziemlich spannend und unterhaltsam und auch romantisch, denn Chuck Tingles großes literarisches Motto war und ist schon immer und in all seinen Veröffentlichungen: LOVE IS REAL!
Dieser Roman ist insgesamt definitiv nichts für schwache Nerven, aber wenn ihr mit Horror und Gore generell klarkommt, dann kann ich ihn euch enthusiatisch empfehlen!
Ich habe neben all den Neuerscheinungen der großen und kleinen Verlage, den Backlistperlen und antiquarischen Schätzen und den vielen Lektüren für meine ganzen verschiedenen Lese- und Schreibprojekte meistens nur wenig bis gar keine Zeit, mich zusätzlich auch noch mit der Welt des Selfpublishing zu befassen. Manchmal kommt aber ein*e Autor*in in die Buchhandlung und stellt uns ein im Eigenverlag veröffentlichtes Buch vor, das so interessant klingt, dass ich doch mal einen Blick hinein werfe. Und manchmal lese ich mich dann regelrecht darin fest, verschlinge das Buch innerhalb von ein paar Stunden und setze mich anschließend dafür ein, es in unser Ocelot-Sortiment aufzunehmen.
So geschehen kürzlich bei Fossis, dem neuen Roman der Autorin und Archäologin Susanne Amtsberg, den diese über Books on Demand eigenständig veröffentlicht hat. Er handelt von der Paläoanthropologin Bea Hennock, die von ihrer Vorgesetzten dazu verdonnert wird, das Fossilien-Magazin des (fiktiven) Berliner Hugo-Irenäus-Kaiser-Instituts aufzuräumen und dabei auf eine Kiste mit Fossilien stößt, die ein ehemaliger, inzwischen verstorbener Kollege nach einer Grabung in Äthiopien unterschlagen zu haben scheint. Bea beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen und ist bald von der Brisanz der jahrzehntealten Knochenfunde überzeugt — scheinen diese doch ein völlig neues Licht auf die vorherrschenden Theorien zur Entwicklung des aufrechten Gangs zu werfen. Auf der Suche nach Antworten verstrickt Bea sich immer tiefer im "Evolutionsdickicht aus Nazi-Erbe, Human Remains, postkolonialer Aneignung und überfälliger Repatriierung" und beginnt schließlich, ihre eigene Rolle im westlichen Wissenschaftsbetrieb immer mehr infrage zu stellen…
Susanne Amtsberg ist hier ein wirklich spannender und ungewöhnlicher Wissenschaftsthriller gelungen, der mich während der Lektüre in unzählige Wikipedia-Rabbit-Holes (z.B. über Geröllgeräte, über DIN-Normen für die in Deutschland gültige Benennung und Beschreibung von Boden und Fels, oder über die sog. Aquatic Ape Theory) getrieben hat. Laut Buchrücken handelt es sich bei dem Roman um Teil 1 einer geplanten Trilogie und ich bin jetzt sehr gespannt, was die Autorin uns in den beiden Folgebänden noch so zu bieten haben wird.
Am Rand eines Waldstücks in der Altmark (Sachsen-Anhalt!) betreiben die strenge Wirtin Oda Prager und ihr unheimliches Zimmermädchen Maria Rosa gemeinsam die heruntergekommene Pension Bertoldi, eine Herberge mit Blick auf ein ehemaliges FDGB-Erholungsheim, das auch Jahrzehnte nach dem Ende der DDR noch eine seltsame Faszination auf die unterschiedlichen Hotelgäste ausübt. Am Morgen nach deren Anreise verkündet die Wirtin ihren neun Urlaubsgästen, dass sie bis zum Mittag zu ihrer eigenen Sicherheit das Hotel nicht verlassen dürfen: "Bleiben Sie bis zum Mittag im Haus, es liegt eine mittlere Gefahrensituation vor, eine Schutzmittelsituation, die Luft da draußen ist vorübergehend nicht sicher." Doch aus den zunächst angekündigten vier Stunden werden schnell Tage, bald Wochen und schließlich Monate, in denen die Gäste im Hotel festsitzen, sich mehr schlecht als recht miteinander und den Umständen arrangieren und einer nach der anderen dem totalen psychischen Zusammenbruch entgegensteuern. Wer von ihnen wird sich als erstes aus der Pension ins Freie wagen, und welches Schicksal wird sie*ihn dort draußen erwarten?
Susan Krellers neuer Roman Salzruh ist eines von diesen Büchern, die keinen klaren, einfach nacherzählbaren Plot haben, bei denen vieles vage und unerklärt bleibt, und die trotzdem aufgrund ihrer Sprache, der übermittelten Atmosphäre, ihres allgemeinen Vibes eine unglaubliche Sogwirkung entwickeln. Ein bisschen hat es mich in der Hinsicht an Romane wie Johanne Lykke Holms Strega, Franziska Gänslers Ewig Sommer, Marie Redonnets Hotel Splendid (die alle drei lustigerweise ebenfalls in hruntergekommenen Hotels spielen) und auch an Helene Bukowskis Milchzähne erinnert, die alle für mich eine ähnliche, düstere, leicht bedrohliche, manchmal fast fiebertraumartige Stimmung heraufbeschworen haben. Am erfrischendsten an Krellers Roman fand ich persönlich, dass die Autorin (im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen deutschsprachigen Romanen, die ich in den letzten Jahren so gelesen habe) einen sehr deutlichen eigensinnigen, individuellen, wiedererkennbaren Stil hat. Eines meiner bisherigen deutschsprachigen Jahreshighlights, dem ich es definitiv auch wünschen würde, auf der Longlist für den diesjährigeDeutschen Buchpreis zu landen.
Es folgt ein kurzer Werbeblock in eigener Sache, denn in den nächsten Wochen und Monaten werden ein paar tolle Veranstaltungen stattfinden, an denen ich beteiligt bin, und ich würde mich freuen, den einen oder die andere von euch auf einer davon zu sehen. (Nach dem Werbeblock geht es dann noch abschließend um ein sehr tolles Buch, das mich ein bisschen mit historischer Romance als Genre versöhnt hat.)
Mein guter Freund Simon Sahner hat ein ganz fantastisches Buch geschrieben (ich durfte es vorab schon lesen), das nächste Woche erscheint, und weil meine liebste Kollegin-Freundin Alex und ich Beim Lösen der Knoten: Nachdenken über Krebs so toll finden, haben wir uns schon vor Monaten — zum Glück erfolgreich — dafür eingesetzt, dass wir die Buchpremiere dazu mit Simon bei uns im Ocelot feiern können. Das Event findet am Samstag, den 2. September um 20 Uhr in der Buchhandlung Ocelot in Berlin Mitte (Brunnenstr. 181) statt und kostet 8 € Eintritt. Ihr müsst keine Karten vorab reservieren, die Abendkasse öffnet um 19 Uhr, Alex wird moderieren und ich freue mich schon sehr sehr sehr darauf und hoffe, mindestens all diejenigen unter euch, die in Berlin leben, dort begrüßen zu dürfen!
Das erste Septemberwoche hat für Berliner*innen literarisch viel zu bieten, denn direkt am nächsten Tag, also am Sonntag den 3. September, findet das LCB-Sommerfest im Literarischen Colloquium am Wannsee statt, das dieses Jahr vom Ullstein Verlag ausgerichtet wird. Und ich freue mich ganz ungemein, dass ich an diesem Tag auch Teil des Programms sein darf! Beim Ullstein-Imprint Claassen erscheint nämlich diesen Herbst endlich eine langersehnte Marlen-Haushofer-Werkausgabe und aus diesem Anlass werde ich mich zusammen mit der Autorin Antonia Baum (deren Roman Siegfried ich übrigens auch sehr empfelen kann) und der Ullstein-Lektorin Melina Brüggemann um 15 Uhr darüber unterhalten, warum es sich lohnt, diese Autorin (die zu meinen Top 3 Lieblingsschriftstellerinnen of all time gehört!) neu zu entdecken.
Auch die restlichen Programmpunkte des LCB Sommerfests klingen toll, es lohnt sich also unabhängig von mir auf jeden Fall, am 3.9. dort vorbeizuschauen! Beginn des Sommerfests ist 13 Uhr, der Eintritt kostet 8 € bzw. ermäßigt 5 € (Kinder müssen nichts zahlen), und auch für Essen und Getränke ist natürlich gesorgt.
Wer diesen Newsletter oder meinen Twitteraccount schon länger verfolgt, hat vielleicht mitbekommen, dass ich vor zwei Jahren sehr vom Buch A Ghost in the Throat der irischen Autorin Doireann Ní Ghríofa geschwärmt habe. Inzwischen ist das Buch auch auf Deutsch erschienen (in der Übersetzung von Cornelius Reiber und Jens Friebe) und findet bei den deutschsprachigen Leser*innen völlig zu Recht großen Anklang.
Im September kommt die Autorin Doireann Ní Ghríofa für drei Events nach Deutschland und es ist mir eine rieengroße Ehre, die ich immer noch kaum fassen kann, dass ich eine dieser Veranstaltungen moderieren darf, nämlich am Mittwoch den 13.9. im Hessischen Literaturforum im Mousonturm in Frankfurt. Beginn ist 19:30, der Eintrittspreis beträgt 5,-/8,-/12,- (pay as you wish), das Gespräch findet auf Englisch statt (ich werde es zwischendurch immer wieder auf Deutsch zusammenfassen), außerdem wird die Schauspielerin Viola Pobitschka aus der deutschen Übersetzung lesen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf diese Veranstaltung freue!
Im Oktober geht es dann los mit den Veranstaltungen zu Nicoles und meiner Buchreihe rororo Entdeckungen:
Am 9. Oktober werden Nicole und ich uns mit meiner lieben Ocelot-Kollegin und Moderationsgenie Maria-Christina Piwowarski in einem Instagram Livestream über die Hintergründe der Reihe und die ersten drei Bücher unterhalten. Nähere Infos folgen demnächst.
Auch auf der Frankfurter Buchmesse werde ich dieses Jahr natürlich anwesend sein. Termindetails verrate ich, wenn sie spruchreif sind, ich stehe aber natürlich gerne für weitere Presse- und Veranstaltungsanfragen im Rahmen der Messe zur Verfügung (für Anfragen bzgl. der rororo Entdeckungen geht bitte den offiziellen Weg über die Presse- bzw. Veranstaltunsabteilung des Rowohlt Verlags; anderweitige Anfragen dürft ihr natürlich immer direkt an mich richten).
Ganz besonders freue ich mich, dass es für den Auftakt der rororo Entdeckungen eine offizielle Buchpremiere mit Nicole und mir im Literaturhaus Hamburg geben wird, und zwar am Mittwoch, den 1. November. Genauere Details zu Ablauf, Tickets etc. weiß ich noch nicht, aber ihr erfahrt es natürlich, sobald ich sie habe. Save the date!
Martha Hart weiß, was eine glückliche Ehe ausmacht. Zumindest in der Theorie. Ihre eigene Ehe mit ihrer großen Liebe Gordon dauerte nur 11 Tage, bevor dieser zurück an die Front musste und dort kurze Zeit später fiel, ohne dass die beiden sich jemals wiedergesehen hätten. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs richtet die junge Witwe all ihre Energie darauf, die kriegsversehrten Offizierskollegen ihres verstorbenen Mannes unter die Haube zu bringen und gründet zu diesem Zweck schließlich ein auf Veteranen spezialisiertes Heiratsvermittlungsbüro in der kleinen englischen Stadt Easterbridge in der Nähe von Manchester. Zwölf Jahre und viele erfolgreich vermittelte Ehen später allerdings beginnt das Geschäft im Jahr 1934 zu stagnieren – unter anderem, weil Mrs Harts Assistentin die besten Heiratskandidaten für sich selbst reserviert anstatt sie mit den zahlreichen alleinstehenden Klientinnen des Büros zusammenzubringen. Als die Assistentin schließlich mit einem der Männer tatsächlich vor den Altar tritt und ihre Stellung aufgibt, ist Martha Hart dringend auf der Suche nach neuer Unterstützung, und da kommt die aufgeweckte junge Irin April McVey ihr gerade recht. April, Ende zwanzig, musste nach dem Tod ihres spielsüchtigen Vaters und dem daraus resultierenden Verlust des Familienbetriebs gemeinsam mit ihrer Mutter unter Schimpf und Schande ihre geliebte irische Heimat Lisnacashan (fiktiver Ort!) verlassen, um bei einer Tante in Manchster unterzukommen und leidet dort unter den beengten Verhältnissen und dem Mangel an Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Obwohl sie sich selbst als völlig unromantisch betrachtet und immer wieder betont, selbst keinerlei Heiratsambitionen zu hegen, nimmt sie die Herausforderung ihrer neuen Stelle begeistert an und bringt sich vom ersten Tag an mit einer endlosen Reihe an Modernisierungsvorschlägen ein, die ihrer etwas altmodischen Chefin Martha zum Teil alles andere als geheuer erscheinen. Als April schließlich Fabian, den verwitweten Bruder ihrer Vermieterin Felicity (eine exzentrische alleinstehende Kinderbüchern), kennenlernt, setzt sie sich schnell in den Kopf, die perfekte neue Frau für ihn (und Stiefmutter für seine pubertierende Tochter) zu finden — nicht ahnend, dass Fabian längst eigene Pläne in dieser Hinsicht gefasst hat…
Von Mrs Hart’s Marriage Bureau, dem ersten Erwachsenenroman der irischen Jugendbuchautorin Sheena Wilkinson, habe ich erstmals auf dem Blog von jemandem gehört, dessen Empfehlungen ich in Bezug auf wiederentdeckte britische Mid-Century-Autorinnen sehr vertraue — und weil Simons Rezension so charmant klang, habe ich mir außnahmsweise einen historische Romance-/Unterhaltungsroman gekauft, ein Genre, dass ich normalerweise überhaupt nicht besonders gerne lese. Absolut no judgment, wenn ihr dieses Genre gerne mögt, ich weiß, dass es in jedem Genre gute und schlechte Texte gibt, es ist einfach eine Zeit- und Interessensfrage bei mir, sprich: mein persönliches Interesse an Romance und historischer Unterhaltung ist einfach grundsätzlich nicht groß genug bzw. bei anderen Genres eben größer, als dass ich mir die Mühe machen möchte, die Bücher in dem Bereich ausfindig zu machen, die mir gefallen würden. Mrs Hart’s Marriage Bureau nun war in dieser Hinsicht ein absoluter Zufallstreffer, denn ich fand das Buch absolute charmant und wholesome und kann es allen Fans feministischer Romance, aber auch allen, die wie ich diesem Genre eher skeptisch oder uninteressiert gegenüber stehen, allerwärmstens empfehlen. Insbesondere, wenn ihr Lektor*innen eines deutschsprachigen Verlags seid, der historische Unterhaltung verlegt, würde ich euch dringend dazu raten, euch das Buch genauer anzugucken und euch nach der Verfügbarkeit der deutschsprachigen Rechte zu erkundigen! (Falls ihr sie dann tatsächlich einkauft, sagt mir gerne bescheid!) Was mir im Detail daran so gut gefallen hat, werde ich nach der gleich folgenden Coverabbildung ein wenig ausführen, und dafür spreche ich hiermit ein dicke, fette SPOILERWARNUNG für den Rest dieser Newsletterausgabe aus, denn ich werde darin auch auf das Ende und die verschiedenen sich (nicht) findenden Pärchen usw. eingehen.
Ein sehr charmanter (spoilerfreier) Aspekt des Romans war für mich Aprils irischer Dialekt, der meiner Laienmeinung nach auch schriftlich sehr gut eingefangen wurde und den ich von meinem kürzlichen Derry-Girls-Bingewatch noch voll im Ohr hatte und sowieso sehr schätze. Auf inhaltlicher Ebene hat mir sehr gefallen, wie beispielsweise feministische und antifaschistische Positionen auf eine sich natürlich und authentisch anfühlende Art nebenbei in die Handlung eingeflochten wurden. Der Roman spielt 1934, Hitlers Machtergreifung wird immer wieder aus englischer Perspektive thematisiert, und eine Figur mit persönlichem Bezug zu Deutschland hilft einem deutschen jüdischen Künstler*innenpaar, nach England zu emigrieren. Als April von einem vermeintlichen Klienten des Ehevermittlungsbüros unter Vorspiegelung falscher Tatsachen sexuell belästigt wird, reagiert ihre Vorgesetzte Martha zunächst sehr unsolidarisch und wirft April vor, sich durch unvorsichtiges Verhalten selbst in diese Situation gebracht zu haben — eine andere Figur jedoch spricht April gegenüber sehr deutlich aus, dass solches Victim Blaming völlig inakzeptabel ist, dass die Schuld einzig und allein beim Täter liegt und April sich absolut gar nichts vorzuwerfen hat, und gibt dieser so die Kraft, sich Martha gegenüber zu behaupten und eine Entschuldigung einzufordern. Am erfrischendsten aber fand ich, dass April von Anfang an den Standpunkt vertritt, nie heiraten zu wollen, und dass der Roman, obwohl der ein ganzes Stück ältere und sehr liebenswerte Fabian sich in sie verguckt und ihr einen Antrag macht, den April ablehnt, nicht damit endet, dass er sie auf romantische Art doch noch erobert. Nein, Fabian sieht schnell ein, dass er in seinem ersten Auftauen nach einer mehrjährigen Trauerphase um seine verstorbene Ehefrau, das im wesentlichen durch April und ihre Lebhaftigkeit angestoßen wurde, seine verwirrten Gefühle einfach auf die junge Frau projiziert hat, ohne deren eigene Empfindungen und Persönlichkit wirklich ernst zu nehmen, und wendet aus eigener Erkenntnis seine romantische Aufmerksamkeit schnell einer viel komplatibleren Partnerin zu. Und auch wenn am Ende des Romans angedeutet wird, dass Aprils Heiratsaversion auch etwas mit einer möglichen queeren Identität zu tun haben könnte, steht ihr Wunsch nach Freiheit und (beruflicher) Selbstverwirklichung doch bis zum Ende viel mehr im Mittelpunkt als irgendwelche anderen romantischen Verwicklungen. Ein wirklich schönes Buch, das ich mit großem Bedauern zugeschlagen habe, weil ich gerne noch weiter in dieser sympathischen kleinen Welt von Easterbridge verharrt hätte.
Das war’s für heute. Über Feedback, Wünsche, Vorschläge und Anregungen jeder Art freue ich mich immer.
Den nächsten Newsletter werde ich voraussichtlich irgendwann im September verschicken. Bis dahin findet ihr mich mit buchnahem Content auf der Plattform formerly known as Twitter (solange es noch funktioniert) und neuerdings auch auf BlueSky.
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Eure Magda
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Dealing with Dragons Habe ich früher auch gelesen und fand es ganz wunderbar, es waren glaube ich insgesamt vier Bücher?