heute mache ich es relativ kurz, denn a) habe ich dieses Wochenende Besuch, den ich seit vor Pandemiebeginn nicht gesehen habe, und b) beinhaltet unsere heutige Leseetappe nur die ersten rund 90 Seiten von Zwei Freunde, dem zweiten Band von Amalie Skrams Die Leute vom Hellemyr, der von Nora Pröfrock übersetzt wurde. Nächste Woche, wenn wir (hoffentlich) alle diesen Band vollständig gelesen haben, werde ich hier wieder ausführlicher meine Leseeindrücke aufschreiben und auch eure Social Media-Beiträge zum #HellemyrLesen wieder zusammenfassen.
An dieser Stelle nur so viel:
Da wir es jetzt hauptsächlich mit den inzwischen erwachsenen Kindern und sogar einigen Enkelkindern von Sjur Gabriel und Oline zu tun haben, die sich ein eigenes (Familien)leben in der Stadt Bergen selbst statt auf dem alten Hellemyr-Hof aufgebaut haben, ist auch der Dialekt in den Dialogen nicht mehr so extrem wie im ersten Band und dadurch waren die Anfangskapitel zumidnest für mich gleich nochmal viel flüssiger zu lesen. Meine sprachlichen Schwierigkeiten haben sich dann an ganz anderer Stelle bemerkbar gemacht, nämlich als Sivert auf dem Schiff Zwei Freunde anheuert und den Lesenden plötzlich sehr viel "seemännische Fachterminologie" um die Ohren fliegt. Es fällt mir eh nie so leicht, mir Umgebungsbeschreibungen etc. in Romanen wirklich richtig bildlich vorzustellen (in meienm Auge läuft beim Lesen normalerweise KEIN innerer Film ab) und wenn dann auch noch so viele Begriffe vorkommen, von denen ich gar nicht so genau weiß, was sie bedeuten, bekome ich noch größere Probleme, den Beschreibungen und manchmal dadurch auch der Handlung zu folgen. So war es hier z.B. bei der Sturmszene, als das Schiff fast untergeht, da ist mir richtiggehend schwindlig geworden. Andererseits war das vielleicht auch einfach von Amalie Skram so beabsichtigt, es passt ja zum Chaos und der Hektik der Situation, und auch Sivert selbst als sehr unerfahrener Matrose fühlt sich ja überfordert und verängstigt und steht erstmal allen im Weg rum.
Interessant fand ich die Entwicklung der Familienverhältnisse in Bergen, vor allem den Konflikt der Geschwister Jens und Ingeborg, die sich einerseits über den richtigen Umgang mit ihren alkoholkranken Eltern streiten und wo andererseits deutlich mitschwingt, dass da noch ganz andere Dinge zwischen den beiden im Argen liegen. Ich bin gespannt, wie sich das über den Rest der Tetralogie noch entwickelt.
Die Szene, als Marthe, in ihrer Naivität und ihrem mütterlichen Stolz, zum Konsul geht, um eine Belohnung für Siverts vermeintliche Heldentat auf dem sturmgepeitschten Schiff einzufordern, fand ich unglaublich gut erzählt und gleichzeitig sooo schwer zu lesen, weil Marthe mir darin so leid tat und ich mich gleichzeitg so fremdgeschämt habe.
Insgesamt gefällt mir die Übersetzung von Nora Pröfrock ähnlich gut wie die von Christel Hildebrandt im Band davor, der Text liest sich sehr flüssig und ähnlich mitreißend wie schon Band 1 — durch diese 90 Seiten bin ich an einem Nachmittag durchgerauscht und musste mich aktiv zwingen, dann erstmal eine Pause einzulegen.
Das Einzige, was mich in dieser ersten Hälfte wirklich gestört hat, ist, dass in Siverts Brief an die Eltern das rassistische N-Wort in seiner ausgeschriebenen Variante verwendet wird. Ich weiß, dass die Übersetzerin Nora Pröfrock in ihrem Nachwort auf diese Entscheidung genauer eingeht und ich kann die Gründe dafür zwar teilweise nachvollziehen, aber zufrieden bin ich damit nicht. Meiner Meinung nach kann man auch in Passagen, wo das N-Wort oder andere rassistische Bezeichnungen ähnlichen Kalibers in wörtlicher Rede (bzw. in diesem Fall in einem Brief) auftauchen und der Charakterisierung von (rassistisch denkenden/sozialisierten) Figuren dienen, darauf verzichten, das Wort auszuschreiben, ohne dadurch den Originaltext zu verflachen o.ä. Es gibt bspw. die Möglichkeit, es als “N***” zu schreiben und in einer Fußnote zu erklären, dass dort im Originaltext ein für die Entstehungszeit üblicher rassistischer Slur steht, auf dessen vollständige Ausschreibung in einer heutigen Ausgabe aus Rücksicht auf Schwarze Leser*innen, die von diesem Begriff beleidigt und retraumatisiert werden können, verzichtet wird. Und auch andere kreative Lösungen wären sicher denkbar. Unabhängig davon, wie ihr selbst das Thema seht, würde ich euch darum bitten, in der Diskussion im Rahmen dieses Lesekreises darauf zu verzichten, das Wort auszuschreiben, selbst in direkten Zitaten. Danke dafür im Voraus!
Und jetzt übergebe ich das Wort an euch! Wie ist es euch mit dem Beginn von Band 2 ergangen? Was gefällt euch evtl. besser oder auch weniger gut als im ersten Band? Womit hattet ihr Schwierigkeiten? Was fandet ihr besonders interessant? Wie findet ihr die Figurenentwicklung? Hat euch die Seemannssprache stellenweise auch so verwirrt wie mich?
Ich will alles wissen, was euch zu diesen 90 Seiten über Sivert und seine Familie durch den Kopf geht!
Die Geschichte von Sivert geht mir sehr nah, ich kann das Gefühl des Fremdschams gegenüber der Großmutter sehr gut nachvollziehen. Dieses Betrachten des Verfalls und das Wissen, dass er auch selbst daran gemessen wird, obwohl er als Enkelkind kein bisschen was dafür kann, ist herzzerreißend. Und seine Entscheidung, die Familie zu verlassen und diesen Ausweg nur in der Seefahrt zu finden, spricht schon viel von der inneren Verzweiflung.
Er wünscht sich heimlich den Tod der Großeltern, um es nicht länger mitansehen zu müssen. Dabei wünscht er sich nicht nur für sich Erlösung, sondern sehr wahrscheinlich auch für die Großeltern, speziell für Oline.
Marthes Besuch im Konsulat ist so geprägt von dem Wunsch nach Anerkennung, dass es in mir als Leserin Fremdscham und gleichzeitig Verständnis auslöst. Auch wenn die Person Marthe mir an sich unsympathisch ist, hätte ich ihr ihr gerne dieses Erlebnis erspart, das sie dann nochmal erniedrigt hat.
Insgesamt ist man an Leser*in den Personen im Buch zugewandt, aber trotzdem blicken wir alle ein bisschen auf sie herab. Würde die Geschichte in der heutigen Zeit spielen, würden wir uns nach helfenden Händen umblicken, aber wir wissen, dass zur damaligen Zeit keine große Aussicht auf Verbesserung besteht.
Aufgrund der sehr hektischen Woche, habe ich es tatsächlich erst gestern Abend geschafft, den Wochenabschnitt zu lesen. Auch ich bin zugegebenermaßen erstaunt, wie gut ich durch die Seiten fliege - selbst mit sehr müden Augen.
Der Dialekt, der mir im ersten Buch schon wenige Probleme bereitet hat, erstaunt mich in Band zwei vielmehr, weil ich die Veränderungen merke. Ich könnte nicht benennen, worin sie bestehen, aber ich merke beim Lesen, dass sich etwas verändert hat und auch die Stimmung dadurch etwas anders wird - dieser leichte „Aufstieg“ der Kinder (mal mehr mal weniger) ist für mich spürbar. Das finde ich faszinierend gemacht von den Übersetzerinnen!
Ich werde das Nachwort und damit auch die Begründung des N-Wortes erst nach dem gesamten Buch lesen (oder mal sehen, ich hab hier grad mitbekommen, dass es ein Glossar gibt - vielleicht blättere ich doch mal vor). Für mich muss dieses Wort aber definitiv nicht sein und ich hätte eine Abänderung wirklich besser gefunden. Bin gespannt auf die Begründung aber hm…
A propos Glossar: Ich hab zwar dank Seefahrtsaffinität ein paar Begriffe drauf, aber die Schiffsreise war spätestens beim Sturm sehr wild zu lesen. Spannend finde ich dabei aber auch die verschiedenen Perspektiven bzw. wie mit Wahrnehmung gespielt wird: Sievert sieht ja das eine und im Brief lesen wir dann wie er es empfunden hat (oder dramatisiert, um interessanter zu wirken bzw. besser wegzukommen?) und wie dann die Familie drauf reagiert… das ist unheimlich gelungen!
Wären mir gestern nicht fast die Augen zugefallen, hätte ich sofort weitergelesen. Ich freue mich also auf nächsten Sonntag :)
Ja, die subtilen sprachlichen Veränderungen zwischen den Generationen finde ich auch in der Übersetzung ziemlich gelungen!
Über Siverts recht, sagen wir mal, übertriebene Schilderung seiner Rolle während der aufregenden Schiffsreise musste ich auch ziemlich schmunzeln. Er ist ja noch ein Teenager, und noch dazu einer, der den zweifelnden Eltern die Richtigkeit seiner Entscheidung, auf See zu fahren, beweisen will -- da fühlt sic seine Aufschneiderei ziemlich authentisch an.
Das erste Buch wirkte für mich deutlich 'älter', sprachlich und inhaltlich super interessant und keine Gegenwartsliteratur. Der erste Teil vom zweiten Buch wirkte hingegen deutlich stärker wie das, was ich gerne als Kind/Jugendliche las, was eine eher merkwürdige Leseerfahrung war, weil sie dadurch 'künstlich' schien. Ich werde darüber noch nachdenken und bin gespannt, ob es so bleibt.
Was ich sehr erschreckend fand, war der Umgang der nun Erwachsenen mit den älteren, insb ohne Wohlfahrtstaatnetz. Vor allem Marthe fand ich extrem schwierig, weil sie gleichzeitig so fromm ist. Ihre Härte ggü den Alten lässt Jens Sorge wie Nachgiebigkeit aussehen. Es geht wie im ersten Buch auch wieder um moralisches und akzeptiertes Verhalten (Gewalt von Sjur Gabriel; Verachtung und Scham ggü. Armut und Sucht, den Tod dieser in Kauf nehmend trotz Verwandtschaft). Kleine Hinweise wie die Kinder auf der Straße bestätigen dies als das normale. Das find ich als Kniff ganz spannend, gesellschaftliche Themen ganz nah an einer Familie zu zeigen und sie durch unwichtige Nebenfiguren auf die allgemeine Ebene zu heben.
Die Seefahrt war für mich ebenfalls chaotisch, aber jugendbuchvertraut durch klassische Elemente wie Zoff mit dem Koch, schlechtes Essen, Seekrankheit, cholerischer Kapitän, der eine nette Typ, Hauptcharakter Kajütenjunge. Ich hätte nicht erwartet, dass Sivert in dem Brief an seine Eltern so übertreibt und die Frauen sexualisiert erwähnt. Soll es seine 'Mannwerdung' verdeutlichen?
Dass das "N-Wort" ausgeschrieben wurde, fand ich sehr enttäuschend, das muss nicht sein. Die Begründung hab ich noch nicht gelesen, aber ich finde es generell schwierig zu rechtfertigen.
Den Brief an die Eltern fand ich einerseits in seiner Aufschneiderei ziemlich witzig, andererseits hat mich natürlich Siverts darin deutlich zutage tretender Rassismus und Sexismus auch sehr gestört. Gleichzeitig ist seine Haltung vermutlich durchaus realistisch für einen Jugendlichen, der sich seinen Eltern gegenüber beweisen will, zumal zu der Zeit, in der das spielt. So oder so lässt der Brief nichts gutes für die zweite Hälfte des Buches vermuten, wenn wir ja vermutlich mehr von Siverts Abenteuern auf Jamaica erfahren und von seinem Blick auf die einheimische Bevölkerung. Ich bin gespannt.
Auch diese 90 Seiten des zweiten Bands haben mich in den Bann gezogen: Allein der Einstieg mit der volltrunkenen Oline, die so erbarmungswürdig erscheint, hat mich erschüttert. Im ersten Band klang ja an, dass sie mal andere Vorstellungen von ihrem Leben hatte und nun ist sie völlig abhängig von Menschen, die ihr Geld geben für einen Schluck Alkohol. Dieser Tippe Tue, der ein richtig mieser Typ ist (andere Begriffe, die mir in den Sinn kommen, verwende ich hier nicht) nimmt das von Olines Tochter erbettelte Geld und zwingt anschließend die Mutter, sich ihres zweiten Rockes zu entledigen und diesen zu verscherbeln - wie demütigend. Immerhin haben es zwei der Kinder , Ingeborg und Jens, geschafft, trotz des elterlichen Vorbilds, ohne Alkohol rechtschaffen zu leben. Zu Herzen ging mir ebenfalls Siverts Schicksal auf dem Schiff. Ich war beeindruckt von Amalie Skrams sprachlicher Kraft und diesem naturalistischen Erzählen des Lebens auf dem Schiff und des Stemmens gegen den verheerenden Sturm, dass ich mich direkt in die Situation hineinversetzt fühlte, in mir Bilder entstanden und mir fast der Atem stockte. Ich hatte das Gefühl, mitzuringen…. Ja, Marthe tat mir unendlich leid in ihrem Bemühen für Anerkennung der aus dem Brief abgeleiteten Leistung ihres Sohnes. Dieses Ringen der Menschen um Anerkennung: Nehmt mich/uns wahr; wir gehören dazu, leisten etwas in der Gesellschaft - doch letztendlich bleibt, wer unten ist, unten…. Es ist erschütternd.
Nun zu dem N-Wort. Ich gehe sehr wortgebunden vor und lese das Nachwort nach dem Lesen des Buches. Ich respektiere es, dass es hier in diesem Diskussionsraum nicht ausgeschrieben werden soll. Mich hat das Wort im Buch nicht gestört, weil ich es historisch eingeordnet habe. Mich hätte es sicherlich eher gestört, wenn es in der heute nichtrassistischen Weise geschrieben worden wäre. Das würde m.E. nicht in den Kontext passen. Der Rassismus in Siverts Brief ist durch das Verkürzen des Wortes nicht weg. Schlimm und erschütternd ist die Haltung zu den Menschen auf Jamaika und der Umgang der Kolonialist*innen mit ihnen. In aktuellen Texten sollte das „N…..“ - Wort nicht auftauchen, doch frage ich mich, ob der Mensch, der es nicht verwendet, nicht trotzdem Rassist sein kann….
Ich bin etwas ratlos und das letzte, was ich will, ist, andere Menschen zu kränken, glaube aber, dass ich es trotzdem manchmal tue..
Die Szenen mit Oline am Anfang sind wirklich erschütternd, ja. Gerade, weil wir im ersten Band ja doch noch näher an ihr dran waren, zwischendrin immer wieder ihre eigene Perspektive erfahren haben, ihre Sorgen und Ängste nachvollziehen konnten. In diesem Band erleben wir dagegen nur die Außenperspektive auf sie, von Figuren, die sich für sie schämen und möglichst nichts mit ihr zu tun haben wollen. Das finde ich teilweise schon ziemlich brutal, gerade die Ansichten von Ingeborg und von Marthe.
Du hast natürlich vollkommen recht, dass Siverts Brief z.B. auch unabhängig von der Verwendung des N-Wortes inhaltlich ungemein rassistsch (und sexistisch) ist! Ich habe auch die Befürchtung, dass dieser Rassismus im Laufe des Buches, wenn wir uns mit Sivert zusammen in Jamaica aufhalten, nochmal deutlich stärker werden wird. Ich bin gespannt, wie ich damit als Leserin klarkommen werde.
Mir ging es auch so, dass ich die Szenen in Bergen und die Entwicklung der Verhältnisse innerhalb der Familie interessanter fand als das Seefahrerleben, auch wenn ich die Entwicklung von Sivert von einem seekranken Junge, der an Bord zu nicht viel nutze ist, hin zu einem (fast) vollwertigem Besatzungsmitglied ganz schön beschrieben fand.
Am besten gefallen hat mir die Brief-Szene (bis auf das N-Wort, an dem ich mich auch sehr gestört habe). Siverts Seefahrergeschichten (die wir ja schon aus objektiverer Sicht kennen) und die Reaktionen seiner Familie (inklusive Marthes Ausflug zum „Herrn Kunsel“) fand ich sehr witzig und rührend.
Auf das Glossar bin ich leider auch erst spät gestoßen. Etwas unglücklich gelöst, dass in den ersten Bänden nirgendwo darauf verwiesen wird.
Mir ging es mit den Seefahrtsbegriffen ganz ähnlich: Den Dialekt verstehe ich da deutlich besser! Gleichzeitig hat es meinen Lesefluss wenig gestört. Ich hatte am Anfang von #Hellemyrlesen wirklich großen Respekt vor den vier Bänden und die starke Vermutung, ich würde vielleicht gar nicht mitkommen. Aber was hier so viele beschreiben, gilt auch für mich: ich muss mich eher zurückhalten, nicht einfach weiterzulesen. Schön finde ich das!
Gleichzeitig habe ich bei der Lektüre auch zu kämpfen. Oline und Sjur Gabriel in ihrer Armut, Abhängigkeit und Einsamkeit, von der sich die jüngere Generation nur noch abgrenzen oder flüchten kann.
Und Sievert, der das erste mal auf See, krank, allein und unerfahren und als schwächstes Glied in der Kette von all denen drangsaliert wird, die eigentlich für ihn verantwortlich sind und sich kümmern müssten.
Wie kann ich das beschreiben.. ich habe viel Empathie für die Figuren und ärgere mich wohl streckenweise über das Ausmaß des Elends und die wenigen lichten Momente, die sie haben dürfen. Vielleicht ist das eben Naturalismus, Schlimmes wird genau beschrieben ohne narrative Pointe (vielleicht, noch ist ja noch viel Lektüre übrig) - verbunden mit heutigen Leseerwartungen, bei denen detaillierte Gewaltbeschreibungen entweder in Genreliteratur stattfinden oder als Teil einer Helden- oder Heldinnenreise auf etwas hinauslaufen?
Naja, Sonntagsgedanken. Ich freue mich aber auf das Weiterlesen.
Mein kleines Highlight in Kapitel 2: Marthe und Jens unterhalten sich über Sjur Gabriel. Marthe beschwert sich, Jens legt ein gutes Wort für den Vater ein und futtert aber gleichzeitig ein Brot, nuschelt, spricht keinen Satz zuende und haut direkt wieder ab. Schön wenn fiktionale Charaktere einem so intensiv auf den Keks gehen :)
Ja, den Respekt vor den 1200 Seiten hatte ich auch, das ist im Prinzip auch der Grund dafür, dass ich den Lesekreis überhaupt gestartet habe: ich wollte quasi eine "äußere" Kontrollinstanz schaffen, die dafür sorgt, dass ich das mit dem Lesen auch wirklich zeitnah anch Erscheinen der Bücher durchziehe und nicht zwischendrin aufgebe, weil andere Lektüren gerade "wichtiger" oder dringender erscheinen. Ich bin aber auch positiv überrascht, wie stark die Sogwirkung dann tatsächlich ist und dass ich es ohne den Lesekreis vermutlich auch einfach doch am Stück weggebinged hätte. Aber das langsame Tempo mit dafür aber intensivem Austausch mit anderen Leser*innen hat auch etwas für sich!
Ich habe mich gefreut, dass ich dirket wieder bei der mir bekannten Familie sein konnte. Es hat mich erschüttert, wenn auch erwartet, dass Oline es nicht geschafft hat, von ihrer Sucht loszukommen. Mir haben aber hier die Szenen an Land besser gefallen als die an Bord. Die eingeschworene Gruppe von Männern, die sich aufeinander verlassen müssen, hat mich nicht so interessiert. Bewegt hat mich v.a. die Figur des Jens, der Verständnis für seine trunksüchtigen Eltern aufbringt. Sein großes Herz war ja bereits in Band 1 aufgefallen. Die Entwicklung seiner Schwester Ingeborg hat mich befremdet. Natürlich hat sie sehr unter der viel zu großen Verantwortung und der Alkoholabhängigkeit ihrer Mutter gelitten. Dennoch hätte ich nicht erwartet, dass sie nun so auf ihren Bruder herabblickt. Siverts Lügen finde ich verständlich und verbuche sie unter den Größenwahn der Pubertät. Er musste zu Anfang wirklich viel erdulden bis er sich auf dem Schiff eine gewissen Anerkennung erarbeitet hat. Mit der Sprache hatte ich keine Probleme. Ich bin zwar keine Seglerin, das war aber nicht schwierig, habe einiges geraten und einiges nachgeschlagen. Siverts Brief an die Familie zeigt deutlich das Überlegenheitsgefühl der weißen Bevölkerung.
Das Nachwort von Nora Pröfrock habe ich nun erst nach euren Kommentaren gelesen, da Magda ja diese Etappe bis Seite 90 angegeben hatte. Ich verstehe eure Vorbehalte. Meiner Ansicht nach hat Nora Pröfrock ihre Vorgehensweise nachvollziehbar erklärt. Ich hätte das N...wort im Text wahrscheinlich auch gelassen, aber mit einem Sternchen markiert, das auf das Nachwort hinweist.
Mir haben die Szenen in Bergen/auf dem Land auch besser gefallen als die auf dem Schiff, die Interaktionen zwischen den verschiedenen Familienmitgliedern waren einfach so schön und teilweise witzig, teilweise traurig beschrieben! Aber auch auf dem Schiff gab es lustige Szenen; darüber, wie Sivert vor Schreck ins Butterfass springt, habe ich zum Beispiel ziemlich lachen müssen.
Ich gebe dir Recht, wenn man schon darauf besteht, dass N-Wort stehenzulassen, hätte an die Stelle MINDESTENS eine Fußnote gehört, die darauf hinweist, dass auf diese Entscheidung im Nachwort näher eingegangen wird.
Ich bin nicht ganz so stark in den Lesesog gekommen, wie beim letzten mal. Die Familenszenen fand ich wieder großartig. Bedrückend fand ich, dass jetzt die Tochter gegenüber der Mutter gewalttätig wird. Auch die Standesunterschiede wurden schön geschildert.
Sehr gut hat mir auch die Beschreibung des Bordlebens gefallen. Habe gelesen, dass Amelie Skram ihren Mann öfter begleitet hat auf Reisen, und da hat sie sicher einige Erfahrung einbringen können. Und auch wenn ich nicht alle Ausdrücke verstehe, ich hab diese Sprache sehr genossen. Ich liebe alte Segelschiffe, und war sehr glücklich über die anschauliche Darstellung.
Und nun zu dem Brief - erstens hatte ich wirklich Mühe den zu lesen, da zum Dialekt noch eine abenteuerliche Schreibung kam. Und: Ich hab wirklich kein Verständnis für die Verwendungung des N-Worts. Habe dann auch im Nachwort die Erklärung der Übersetzerin gelesen, aber die macht für mich keinen Sinn. Ja ich empfinde es komplett unlogisch. Mal hat das N-Wort keine literarische Funktion, mal dient es der Charakterisierung der Figuren? Es ist doch das selbe Wort, und Sivert verwendet es in seim Brief, weil er es in seinem Alltag nun mal allgegenwärtig ist. Warum ersetzt man es dann in den einen Szenen, und lässt es in anderen drin, sodass es in den Brief viel krasser wirkt?
Ich freue mich aufs Weiterlesen, bin gespannt wie es Sivert weiter ergeht.
Ja, ich hatte auch beim lesen das Gefühl, dass Skram eindeutig auch persönliche Erfahrung mit solchen Schiffsreisen haben muss oder zumindest engen Kontakt mit jemandem, der ihr solche Erfahrungen genau beschrieben hat, denn auch wenn ich von der Terminologie manchmal überfordert war, haben sich diese Szenen doch sehr realistisch angefühlt und so, als wäre man als Leserin wirklich mitten drin im Geschehen!
Was du zur Verwendung des N-Worts schreibst, sehe ich nach weiterem Nachdenken auch ähnlich, obwohl ich oben noch schrieb, dass ich die Erklärung aus dem Nachwort trotz meiner Kritik an der gewählten Lösung einigermaßen nachvollziehen könne. Aber du hast schon recht, wirklich schlüssig ist es irgendwie nicht. Und diese spezielle Übersetzung ist ja weiß Gott nicht der einzige Fall, in dem der Umgang mit dem N-Wort und anderen Slurs Anlass zu Diskussionen gibt. Ich bin wirklich gespannt, wie sich dieses Thema in den nächsten Jahren in der Buchbranche weiter entwickeln wird.
Mir ging es hier ähnlich wie dir, Magda. Mit dem Dialekt hatte ich im zweiten Band weniger Probleme, dafür dann mit den nautischen Begriffen. Vielleicht als Hinweis ganz sinnvoll: Im vierten Band gibt es ein Glossar, in dem die Begriffe erklärt werden. Das hat mich ein wenig geärgert, dass ich das erst so spät festgestellt habe und ich versteh die Entscheidung auch nicht wirklich, warum man das ans Ende des vierten Bandes packt.
Inhaltlich halte ich mich an dieser Stelle zurück, weil ich schon den kompletten zweiten Band gelesen habe (Sogwirkung, ich konnte dann nicht aufhören ...) und mich nicht mehr genau erinnere, wo die Teilung war ... :D
Ah, stimmt, dass es ein Glossar gibt, war mir zwar beim ursprünglichen ersten Durchblättern der vier Bücher mal aufgefallen, aber dann hatte ich es wieder komplett vergessen. Das wäre beim Lesen echt hilfreich gewesen, das direkt in diesem Band zu finden!
Ich empfand wieder einen Sog, der mich Seite um Seite hat weiterlesen lassen. Gerade die oft genauen Schilderungen haben für mich häufig das Gefühl erzeugt, als sei ich mittendrin im Geschehen, sowohl auf dem Schiff, in der Bar oder auch wenn Marthe eine Belohnung abholen wollte (da hat es sich angefühlt, als säße ich auf ihrer Schulter, allerdings mit dem Unbehagen, dass ihr Unterfangen vermutlich scheitern wird).
Die Übersetzung von Nora Pröfrock finde gut lesbar. Allerdings folgt hier mein großes ABER: Auch ich habe ein sehr großes Problem mit der Entscheidung, dass das N-Wort ausgeschrieben wurde. Und ja, auch wenn Nora Pröfrock eine Erklärung im Nachwort geschrieben hat, sie reicht mir absolut nicht aus. Ich bin der Überzeugung, dass es das ausgeschriebene Wort nicht gebraucht hätte. Deine Version zum Beispiel mit N*** plus Fußnote oder einfach eine Umschreibung hätte meiner Meinung nach im Kontext völlig ausgereicht.
Also die Szene mit Marthe im Konsulat wird mir glaube ich echt noch einge ganze Weile nachgehen, die fand ich wirklich unglaublich gelungen, das Unbehagen und die Fremdscham habe ich wirklich fast körperlich gespürt beim Lesen!
Mich hat auch besonders beeindruckt, wie Amalie Skram das Gefühl der Scham beschreibt, vor allem wie es sich körperlich anfühlt, sich so zu schämen. Nicht nur bei Marthe, auch bei Sivert ist das am Anfang gut beschrieben, als er den Entschluss fasst, wegen seiner trunksüchtigen Großmutter Oline zur See zu fahren: „Die Scham sog an seinem Herzen und brannte in seinen Schläfen“
Ich finde es großartig, wie die Autorin es schafft, in so kurzen und knappen Sätzen Spannung zu erzeugen und die Personen zu charakterisieren.
Bei der Seefahrt wurde ich etwas seekrank und so froh ich war, als der kleine Sivert einigermaßen wohlbehalten in Kingston ankam, so bleibt doch ein mulmiges oder melancholisches Gefühl, wie er sich weiter entwickeln wird.
Ich fragte mich noch, warum A. Skram das Schiff und das Buch „Zwei Freunde“ genannt hat. Vielleicht als Kontrast zur Handlung, in der es keinerlei Freundschaft gibt?
Scham ist wirklich ein zentrales Thema in diesen Büchern, scheint mir, und ich finde auch, dass Amalie Skram das wirklich in all seinen Facetten sehr gut einfängt.
Auch von mir noch was:
Die Geschichte von Sivert geht mir sehr nah, ich kann das Gefühl des Fremdschams gegenüber der Großmutter sehr gut nachvollziehen. Dieses Betrachten des Verfalls und das Wissen, dass er auch selbst daran gemessen wird, obwohl er als Enkelkind kein bisschen was dafür kann, ist herzzerreißend. Und seine Entscheidung, die Familie zu verlassen und diesen Ausweg nur in der Seefahrt zu finden, spricht schon viel von der inneren Verzweiflung.
Er wünscht sich heimlich den Tod der Großeltern, um es nicht länger mitansehen zu müssen. Dabei wünscht er sich nicht nur für sich Erlösung, sondern sehr wahrscheinlich auch für die Großeltern, speziell für Oline.
Marthes Besuch im Konsulat ist so geprägt von dem Wunsch nach Anerkennung, dass es in mir als Leserin Fremdscham und gleichzeitig Verständnis auslöst. Auch wenn die Person Marthe mir an sich unsympathisch ist, hätte ich ihr ihr gerne dieses Erlebnis erspart, das sie dann nochmal erniedrigt hat.
Insgesamt ist man an Leser*in den Personen im Buch zugewandt, aber trotzdem blicken wir alle ein bisschen auf sie herab. Würde die Geschichte in der heutigen Zeit spielen, würden wir uns nach helfenden Händen umblicken, aber wir wissen, dass zur damaligen Zeit keine große Aussicht auf Verbesserung besteht.
"Insgesamt ist man an Leser*in den Personen im Buch zugewandt, aber trotzdem blicken wir alle ein bisschen auf sie herab."
Das ist eine sehr gute Beobachtung!
Und einen Tippfehler rein gebaut, ausgerechnet in diesem Satz 😅.
Aufgrund der sehr hektischen Woche, habe ich es tatsächlich erst gestern Abend geschafft, den Wochenabschnitt zu lesen. Auch ich bin zugegebenermaßen erstaunt, wie gut ich durch die Seiten fliege - selbst mit sehr müden Augen.
Der Dialekt, der mir im ersten Buch schon wenige Probleme bereitet hat, erstaunt mich in Band zwei vielmehr, weil ich die Veränderungen merke. Ich könnte nicht benennen, worin sie bestehen, aber ich merke beim Lesen, dass sich etwas verändert hat und auch die Stimmung dadurch etwas anders wird - dieser leichte „Aufstieg“ der Kinder (mal mehr mal weniger) ist für mich spürbar. Das finde ich faszinierend gemacht von den Übersetzerinnen!
Ich werde das Nachwort und damit auch die Begründung des N-Wortes erst nach dem gesamten Buch lesen (oder mal sehen, ich hab hier grad mitbekommen, dass es ein Glossar gibt - vielleicht blättere ich doch mal vor). Für mich muss dieses Wort aber definitiv nicht sein und ich hätte eine Abänderung wirklich besser gefunden. Bin gespannt auf die Begründung aber hm…
A propos Glossar: Ich hab zwar dank Seefahrtsaffinität ein paar Begriffe drauf, aber die Schiffsreise war spätestens beim Sturm sehr wild zu lesen. Spannend finde ich dabei aber auch die verschiedenen Perspektiven bzw. wie mit Wahrnehmung gespielt wird: Sievert sieht ja das eine und im Brief lesen wir dann wie er es empfunden hat (oder dramatisiert, um interessanter zu wirken bzw. besser wegzukommen?) und wie dann die Familie drauf reagiert… das ist unheimlich gelungen!
Wären mir gestern nicht fast die Augen zugefallen, hätte ich sofort weitergelesen. Ich freue mich also auf nächsten Sonntag :)
Ja, die subtilen sprachlichen Veränderungen zwischen den Generationen finde ich auch in der Übersetzung ziemlich gelungen!
Über Siverts recht, sagen wir mal, übertriebene Schilderung seiner Rolle während der aufregenden Schiffsreise musste ich auch ziemlich schmunzeln. Er ist ja noch ein Teenager, und noch dazu einer, der den zweifelnden Eltern die Richtigkeit seiner Entscheidung, auf See zu fahren, beweisen will -- da fühlt sic seine Aufschneiderei ziemlich authentisch an.
Das erste Buch wirkte für mich deutlich 'älter', sprachlich und inhaltlich super interessant und keine Gegenwartsliteratur. Der erste Teil vom zweiten Buch wirkte hingegen deutlich stärker wie das, was ich gerne als Kind/Jugendliche las, was eine eher merkwürdige Leseerfahrung war, weil sie dadurch 'künstlich' schien. Ich werde darüber noch nachdenken und bin gespannt, ob es so bleibt.
Was ich sehr erschreckend fand, war der Umgang der nun Erwachsenen mit den älteren, insb ohne Wohlfahrtstaatnetz. Vor allem Marthe fand ich extrem schwierig, weil sie gleichzeitig so fromm ist. Ihre Härte ggü den Alten lässt Jens Sorge wie Nachgiebigkeit aussehen. Es geht wie im ersten Buch auch wieder um moralisches und akzeptiertes Verhalten (Gewalt von Sjur Gabriel; Verachtung und Scham ggü. Armut und Sucht, den Tod dieser in Kauf nehmend trotz Verwandtschaft). Kleine Hinweise wie die Kinder auf der Straße bestätigen dies als das normale. Das find ich als Kniff ganz spannend, gesellschaftliche Themen ganz nah an einer Familie zu zeigen und sie durch unwichtige Nebenfiguren auf die allgemeine Ebene zu heben.
Die Seefahrt war für mich ebenfalls chaotisch, aber jugendbuchvertraut durch klassische Elemente wie Zoff mit dem Koch, schlechtes Essen, Seekrankheit, cholerischer Kapitän, der eine nette Typ, Hauptcharakter Kajütenjunge. Ich hätte nicht erwartet, dass Sivert in dem Brief an seine Eltern so übertreibt und die Frauen sexualisiert erwähnt. Soll es seine 'Mannwerdung' verdeutlichen?
Dass das "N-Wort" ausgeschrieben wurde, fand ich sehr enttäuschend, das muss nicht sein. Die Begründung hab ich noch nicht gelesen, aber ich finde es generell schwierig zu rechtfertigen.
Den Brief an die Eltern fand ich einerseits in seiner Aufschneiderei ziemlich witzig, andererseits hat mich natürlich Siverts darin deutlich zutage tretender Rassismus und Sexismus auch sehr gestört. Gleichzeitig ist seine Haltung vermutlich durchaus realistisch für einen Jugendlichen, der sich seinen Eltern gegenüber beweisen will, zumal zu der Zeit, in der das spielt. So oder so lässt der Brief nichts gutes für die zweite Hälfte des Buches vermuten, wenn wir ja vermutlich mehr von Siverts Abenteuern auf Jamaica erfahren und von seinem Blick auf die einheimische Bevölkerung. Ich bin gespannt.
Auch diese 90 Seiten des zweiten Bands haben mich in den Bann gezogen: Allein der Einstieg mit der volltrunkenen Oline, die so erbarmungswürdig erscheint, hat mich erschüttert. Im ersten Band klang ja an, dass sie mal andere Vorstellungen von ihrem Leben hatte und nun ist sie völlig abhängig von Menschen, die ihr Geld geben für einen Schluck Alkohol. Dieser Tippe Tue, der ein richtig mieser Typ ist (andere Begriffe, die mir in den Sinn kommen, verwende ich hier nicht) nimmt das von Olines Tochter erbettelte Geld und zwingt anschließend die Mutter, sich ihres zweiten Rockes zu entledigen und diesen zu verscherbeln - wie demütigend. Immerhin haben es zwei der Kinder , Ingeborg und Jens, geschafft, trotz des elterlichen Vorbilds, ohne Alkohol rechtschaffen zu leben. Zu Herzen ging mir ebenfalls Siverts Schicksal auf dem Schiff. Ich war beeindruckt von Amalie Skrams sprachlicher Kraft und diesem naturalistischen Erzählen des Lebens auf dem Schiff und des Stemmens gegen den verheerenden Sturm, dass ich mich direkt in die Situation hineinversetzt fühlte, in mir Bilder entstanden und mir fast der Atem stockte. Ich hatte das Gefühl, mitzuringen…. Ja, Marthe tat mir unendlich leid in ihrem Bemühen für Anerkennung der aus dem Brief abgeleiteten Leistung ihres Sohnes. Dieses Ringen der Menschen um Anerkennung: Nehmt mich/uns wahr; wir gehören dazu, leisten etwas in der Gesellschaft - doch letztendlich bleibt, wer unten ist, unten…. Es ist erschütternd.
Nun zu dem N-Wort. Ich gehe sehr wortgebunden vor und lese das Nachwort nach dem Lesen des Buches. Ich respektiere es, dass es hier in diesem Diskussionsraum nicht ausgeschrieben werden soll. Mich hat das Wort im Buch nicht gestört, weil ich es historisch eingeordnet habe. Mich hätte es sicherlich eher gestört, wenn es in der heute nichtrassistischen Weise geschrieben worden wäre. Das würde m.E. nicht in den Kontext passen. Der Rassismus in Siverts Brief ist durch das Verkürzen des Wortes nicht weg. Schlimm und erschütternd ist die Haltung zu den Menschen auf Jamaika und der Umgang der Kolonialist*innen mit ihnen. In aktuellen Texten sollte das „N…..“ - Wort nicht auftauchen, doch frage ich mich, ob der Mensch, der es nicht verwendet, nicht trotzdem Rassist sein kann….
Ich bin etwas ratlos und das letzte, was ich will, ist, andere Menschen zu kränken, glaube aber, dass ich es trotzdem manchmal tue..
Ilona
Die Szenen mit Oline am Anfang sind wirklich erschütternd, ja. Gerade, weil wir im ersten Band ja doch noch näher an ihr dran waren, zwischendrin immer wieder ihre eigene Perspektive erfahren haben, ihre Sorgen und Ängste nachvollziehen konnten. In diesem Band erleben wir dagegen nur die Außenperspektive auf sie, von Figuren, die sich für sie schämen und möglichst nichts mit ihr zu tun haben wollen. Das finde ich teilweise schon ziemlich brutal, gerade die Ansichten von Ingeborg und von Marthe.
Du hast natürlich vollkommen recht, dass Siverts Brief z.B. auch unabhängig von der Verwendung des N-Wortes inhaltlich ungemein rassistsch (und sexistisch) ist! Ich habe auch die Befürchtung, dass dieser Rassismus im Laufe des Buches, wenn wir uns mit Sivert zusammen in Jamaica aufhalten, nochmal deutlich stärker werden wird. Ich bin gespannt, wie ich damit als Leserin klarkommen werde.
Mir ging es auch so, dass ich die Szenen in Bergen und die Entwicklung der Verhältnisse innerhalb der Familie interessanter fand als das Seefahrerleben, auch wenn ich die Entwicklung von Sivert von einem seekranken Junge, der an Bord zu nicht viel nutze ist, hin zu einem (fast) vollwertigem Besatzungsmitglied ganz schön beschrieben fand.
Am besten gefallen hat mir die Brief-Szene (bis auf das N-Wort, an dem ich mich auch sehr gestört habe). Siverts Seefahrergeschichten (die wir ja schon aus objektiverer Sicht kennen) und die Reaktionen seiner Familie (inklusive Marthes Ausflug zum „Herrn Kunsel“) fand ich sehr witzig und rührend.
Auf das Glossar bin ich leider auch erst spät gestoßen. Etwas unglücklich gelöst, dass in den ersten Bänden nirgendwo darauf verwiesen wird.
Mir ging es mit den Seefahrtsbegriffen ganz ähnlich: Den Dialekt verstehe ich da deutlich besser! Gleichzeitig hat es meinen Lesefluss wenig gestört. Ich hatte am Anfang von #Hellemyrlesen wirklich großen Respekt vor den vier Bänden und die starke Vermutung, ich würde vielleicht gar nicht mitkommen. Aber was hier so viele beschreiben, gilt auch für mich: ich muss mich eher zurückhalten, nicht einfach weiterzulesen. Schön finde ich das!
Gleichzeitig habe ich bei der Lektüre auch zu kämpfen. Oline und Sjur Gabriel in ihrer Armut, Abhängigkeit und Einsamkeit, von der sich die jüngere Generation nur noch abgrenzen oder flüchten kann.
Und Sievert, der das erste mal auf See, krank, allein und unerfahren und als schwächstes Glied in der Kette von all denen drangsaliert wird, die eigentlich für ihn verantwortlich sind und sich kümmern müssten.
Wie kann ich das beschreiben.. ich habe viel Empathie für die Figuren und ärgere mich wohl streckenweise über das Ausmaß des Elends und die wenigen lichten Momente, die sie haben dürfen. Vielleicht ist das eben Naturalismus, Schlimmes wird genau beschrieben ohne narrative Pointe (vielleicht, noch ist ja noch viel Lektüre übrig) - verbunden mit heutigen Leseerwartungen, bei denen detaillierte Gewaltbeschreibungen entweder in Genreliteratur stattfinden oder als Teil einer Helden- oder Heldinnenreise auf etwas hinauslaufen?
Naja, Sonntagsgedanken. Ich freue mich aber auf das Weiterlesen.
Mein kleines Highlight in Kapitel 2: Marthe und Jens unterhalten sich über Sjur Gabriel. Marthe beschwert sich, Jens legt ein gutes Wort für den Vater ein und futtert aber gleichzeitig ein Brot, nuschelt, spricht keinen Satz zuende und haut direkt wieder ab. Schön wenn fiktionale Charaktere einem so intensiv auf den Keks gehen :)
Ja, den Respekt vor den 1200 Seiten hatte ich auch, das ist im Prinzip auch der Grund dafür, dass ich den Lesekreis überhaupt gestartet habe: ich wollte quasi eine "äußere" Kontrollinstanz schaffen, die dafür sorgt, dass ich das mit dem Lesen auch wirklich zeitnah anch Erscheinen der Bücher durchziehe und nicht zwischendrin aufgebe, weil andere Lektüren gerade "wichtiger" oder dringender erscheinen. Ich bin aber auch positiv überrascht, wie stark die Sogwirkung dann tatsächlich ist und dass ich es ohne den Lesekreis vermutlich auch einfach doch am Stück weggebinged hätte. Aber das langsame Tempo mit dafür aber intensivem Austausch mit anderen Leser*innen hat auch etwas für sich!
Das Glossar habe ich auch erst jetzt entdeckt. Habe natürlich vorher nicht in den vierten Band gesehen.
Ich habe mich gefreut, dass ich dirket wieder bei der mir bekannten Familie sein konnte. Es hat mich erschüttert, wenn auch erwartet, dass Oline es nicht geschafft hat, von ihrer Sucht loszukommen. Mir haben aber hier die Szenen an Land besser gefallen als die an Bord. Die eingeschworene Gruppe von Männern, die sich aufeinander verlassen müssen, hat mich nicht so interessiert. Bewegt hat mich v.a. die Figur des Jens, der Verständnis für seine trunksüchtigen Eltern aufbringt. Sein großes Herz war ja bereits in Band 1 aufgefallen. Die Entwicklung seiner Schwester Ingeborg hat mich befremdet. Natürlich hat sie sehr unter der viel zu großen Verantwortung und der Alkoholabhängigkeit ihrer Mutter gelitten. Dennoch hätte ich nicht erwartet, dass sie nun so auf ihren Bruder herabblickt. Siverts Lügen finde ich verständlich und verbuche sie unter den Größenwahn der Pubertät. Er musste zu Anfang wirklich viel erdulden bis er sich auf dem Schiff eine gewissen Anerkennung erarbeitet hat. Mit der Sprache hatte ich keine Probleme. Ich bin zwar keine Seglerin, das war aber nicht schwierig, habe einiges geraten und einiges nachgeschlagen. Siverts Brief an die Familie zeigt deutlich das Überlegenheitsgefühl der weißen Bevölkerung.
Das Nachwort von Nora Pröfrock habe ich nun erst nach euren Kommentaren gelesen, da Magda ja diese Etappe bis Seite 90 angegeben hatte. Ich verstehe eure Vorbehalte. Meiner Ansicht nach hat Nora Pröfrock ihre Vorgehensweise nachvollziehbar erklärt. Ich hätte das N...wort im Text wahrscheinlich auch gelassen, aber mit einem Sternchen markiert, das auf das Nachwort hinweist.
Susanne (@lesetier57)
Mir haben die Szenen in Bergen/auf dem Land auch besser gefallen als die auf dem Schiff, die Interaktionen zwischen den verschiedenen Familienmitgliedern waren einfach so schön und teilweise witzig, teilweise traurig beschrieben! Aber auch auf dem Schiff gab es lustige Szenen; darüber, wie Sivert vor Schreck ins Butterfass springt, habe ich zum Beispiel ziemlich lachen müssen.
Ich gebe dir Recht, wenn man schon darauf besteht, dass N-Wort stehenzulassen, hätte an die Stelle MINDESTENS eine Fußnote gehört, die darauf hinweist, dass auf diese Entscheidung im Nachwort näher eingegangen wird.
Ich bin nicht ganz so stark in den Lesesog gekommen, wie beim letzten mal. Die Familenszenen fand ich wieder großartig. Bedrückend fand ich, dass jetzt die Tochter gegenüber der Mutter gewalttätig wird. Auch die Standesunterschiede wurden schön geschildert.
Sehr gut hat mir auch die Beschreibung des Bordlebens gefallen. Habe gelesen, dass Amelie Skram ihren Mann öfter begleitet hat auf Reisen, und da hat sie sicher einige Erfahrung einbringen können. Und auch wenn ich nicht alle Ausdrücke verstehe, ich hab diese Sprache sehr genossen. Ich liebe alte Segelschiffe, und war sehr glücklich über die anschauliche Darstellung.
Und nun zu dem Brief - erstens hatte ich wirklich Mühe den zu lesen, da zum Dialekt noch eine abenteuerliche Schreibung kam. Und: Ich hab wirklich kein Verständnis für die Verwendungung des N-Worts. Habe dann auch im Nachwort die Erklärung der Übersetzerin gelesen, aber die macht für mich keinen Sinn. Ja ich empfinde es komplett unlogisch. Mal hat das N-Wort keine literarische Funktion, mal dient es der Charakterisierung der Figuren? Es ist doch das selbe Wort, und Sivert verwendet es in seim Brief, weil er es in seinem Alltag nun mal allgegenwärtig ist. Warum ersetzt man es dann in den einen Szenen, und lässt es in anderen drin, sodass es in den Brief viel krasser wirkt?
Ich freue mich aufs Weiterlesen, bin gespannt wie es Sivert weiter ergeht.
Ja, ich hatte auch beim lesen das Gefühl, dass Skram eindeutig auch persönliche Erfahrung mit solchen Schiffsreisen haben muss oder zumindest engen Kontakt mit jemandem, der ihr solche Erfahrungen genau beschrieben hat, denn auch wenn ich von der Terminologie manchmal überfordert war, haben sich diese Szenen doch sehr realistisch angefühlt und so, als wäre man als Leserin wirklich mitten drin im Geschehen!
Was du zur Verwendung des N-Worts schreibst, sehe ich nach weiterem Nachdenken auch ähnlich, obwohl ich oben noch schrieb, dass ich die Erklärung aus dem Nachwort trotz meiner Kritik an der gewählten Lösung einigermaßen nachvollziehen könne. Aber du hast schon recht, wirklich schlüssig ist es irgendwie nicht. Und diese spezielle Übersetzung ist ja weiß Gott nicht der einzige Fall, in dem der Umgang mit dem N-Wort und anderen Slurs Anlass zu Diskussionen gibt. Ich bin wirklich gespannt, wie sich dieses Thema in den nächsten Jahren in der Buchbranche weiter entwickeln wird.
Mir ging es hier ähnlich wie dir, Magda. Mit dem Dialekt hatte ich im zweiten Band weniger Probleme, dafür dann mit den nautischen Begriffen. Vielleicht als Hinweis ganz sinnvoll: Im vierten Band gibt es ein Glossar, in dem die Begriffe erklärt werden. Das hat mich ein wenig geärgert, dass ich das erst so spät festgestellt habe und ich versteh die Entscheidung auch nicht wirklich, warum man das ans Ende des vierten Bandes packt.
Inhaltlich halte ich mich an dieser Stelle zurück, weil ich schon den kompletten zweiten Band gelesen habe (Sogwirkung, ich konnte dann nicht aufhören ...) und mich nicht mehr genau erinnere, wo die Teilung war ... :D
Ohne den Kommentar hier, hätte ich das Glossar erst am Ende entdeckt xD Danke!
Ah, stimmt, dass es ein Glossar gibt, war mir zwar beim ursprünglichen ersten Durchblättern der vier Bücher mal aufgefallen, aber dann hatte ich es wieder komplett vergessen. Das wäre beim Lesen echt hilfreich gewesen, das direkt in diesem Band zu finden!
Das Glossar kannte ich auch noch nicht, danke!
Oh - Danke für den Hinweis mit dem Glossar. Das ist wirklich nicht so gut gelöst.
Ich empfand wieder einen Sog, der mich Seite um Seite hat weiterlesen lassen. Gerade die oft genauen Schilderungen haben für mich häufig das Gefühl erzeugt, als sei ich mittendrin im Geschehen, sowohl auf dem Schiff, in der Bar oder auch wenn Marthe eine Belohnung abholen wollte (da hat es sich angefühlt, als säße ich auf ihrer Schulter, allerdings mit dem Unbehagen, dass ihr Unterfangen vermutlich scheitern wird).
Die Übersetzung von Nora Pröfrock finde gut lesbar. Allerdings folgt hier mein großes ABER: Auch ich habe ein sehr großes Problem mit der Entscheidung, dass das N-Wort ausgeschrieben wurde. Und ja, auch wenn Nora Pröfrock eine Erklärung im Nachwort geschrieben hat, sie reicht mir absolut nicht aus. Ich bin der Überzeugung, dass es das ausgeschriebene Wort nicht gebraucht hätte. Deine Version zum Beispiel mit N*** plus Fußnote oder einfach eine Umschreibung hätte meiner Meinung nach im Kontext völlig ausgereicht.
Also die Szene mit Marthe im Konsulat wird mir glaube ich echt noch einge ganze Weile nachgehen, die fand ich wirklich unglaublich gelungen, das Unbehagen und die Fremdscham habe ich wirklich fast körperlich gespürt beim Lesen!
Mich hat auch besonders beeindruckt, wie Amalie Skram das Gefühl der Scham beschreibt, vor allem wie es sich körperlich anfühlt, sich so zu schämen. Nicht nur bei Marthe, auch bei Sivert ist das am Anfang gut beschrieben, als er den Entschluss fasst, wegen seiner trunksüchtigen Großmutter Oline zur See zu fahren: „Die Scham sog an seinem Herzen und brannte in seinen Schläfen“
Ich finde es großartig, wie die Autorin es schafft, in so kurzen und knappen Sätzen Spannung zu erzeugen und die Personen zu charakterisieren.
Bei der Seefahrt wurde ich etwas seekrank und so froh ich war, als der kleine Sivert einigermaßen wohlbehalten in Kingston ankam, so bleibt doch ein mulmiges oder melancholisches Gefühl, wie er sich weiter entwickeln wird.
Ich fragte mich noch, warum A. Skram das Schiff und das Buch „Zwei Freunde“ genannt hat. Vielleicht als Kontrast zur Handlung, in der es keinerlei Freundschaft gibt?
Scham ist wirklich ein zentrales Thema in diesen Büchern, scheint mir, und ich finde auch, dass Amalie Skram das wirklich in all seinen Facetten sehr gut einfängt.
Ja, Scham und Wut. Und wie aus Scham Wut wird, sowohl bei Marthe als auch bei Sivert. Das fand ich überraschend und spannend.