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Jan 31, 2023Liked by Magda Birkmann

Auch von mir noch was:

Die Geschichte von Sivert geht mir sehr nah, ich kann das Gefühl des Fremdschams gegenüber der Großmutter sehr gut nachvollziehen. Dieses Betrachten des Verfalls und das Wissen, dass er auch selbst daran gemessen wird, obwohl er als Enkelkind kein bisschen was dafür kann, ist herzzerreißend. Und seine Entscheidung, die Familie zu verlassen und diesen Ausweg nur in der Seefahrt zu finden, spricht schon viel von der inneren Verzweiflung.

Er wünscht sich heimlich den Tod der Großeltern, um es nicht länger mitansehen zu müssen. Dabei wünscht er sich nicht nur für sich Erlösung, sondern sehr wahrscheinlich auch für die Großeltern, speziell für Oline.

Marthes Besuch im Konsulat ist so geprägt von dem Wunsch nach Anerkennung, dass es in mir als Leserin Fremdscham und gleichzeitig Verständnis auslöst. Auch wenn die Person Marthe mir an sich unsympathisch ist, hätte ich ihr ihr gerne dieses Erlebnis erspart, das sie dann nochmal erniedrigt hat.

Insgesamt ist man an Leser*in den Personen im Buch zugewandt, aber trotzdem blicken wir alle ein bisschen auf sie herab. Würde die Geschichte in der heutigen Zeit spielen, würden wir uns nach helfenden Händen umblicken, aber wir wissen, dass zur damaligen Zeit keine große Aussicht auf Verbesserung besteht.

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Jan 30, 2023Liked by Magda Birkmann

Aufgrund der sehr hektischen Woche, habe ich es tatsächlich erst gestern Abend geschafft, den Wochenabschnitt zu lesen. Auch ich bin zugegebenermaßen erstaunt, wie gut ich durch die Seiten fliege - selbst mit sehr müden Augen.

Der Dialekt, der mir im ersten Buch schon wenige Probleme bereitet hat, erstaunt mich in Band zwei vielmehr, weil ich die Veränderungen merke. Ich könnte nicht benennen, worin sie bestehen, aber ich merke beim Lesen, dass sich etwas verändert hat und auch die Stimmung dadurch etwas anders wird - dieser leichte „Aufstieg“ der Kinder (mal mehr mal weniger) ist für mich spürbar. Das finde ich faszinierend gemacht von den Übersetzerinnen!

Ich werde das Nachwort und damit auch die Begründung des N-Wortes erst nach dem gesamten Buch lesen (oder mal sehen, ich hab hier grad mitbekommen, dass es ein Glossar gibt - vielleicht blättere ich doch mal vor). Für mich muss dieses Wort aber definitiv nicht sein und ich hätte eine Abänderung wirklich besser gefunden. Bin gespannt auf die Begründung aber hm…

A propos Glossar: Ich hab zwar dank Seefahrtsaffinität ein paar Begriffe drauf, aber die Schiffsreise war spätestens beim Sturm sehr wild zu lesen. Spannend finde ich dabei aber auch die verschiedenen Perspektiven bzw. wie mit Wahrnehmung gespielt wird: Sievert sieht ja das eine und im Brief lesen wir dann wie er es empfunden hat (oder dramatisiert, um interessanter zu wirken bzw. besser wegzukommen?) und wie dann die Familie drauf reagiert… das ist unheimlich gelungen!

Wären mir gestern nicht fast die Augen zugefallen, hätte ich sofort weitergelesen. Ich freue mich also auf nächsten Sonntag :)

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Das erste Buch wirkte für mich deutlich 'älter', sprachlich und inhaltlich super interessant und keine Gegenwartsliteratur. Der erste Teil vom zweiten Buch wirkte hingegen deutlich stärker wie das, was ich gerne als Kind/Jugendliche las, was eine eher merkwürdige Leseerfahrung war, weil sie dadurch 'künstlich' schien. Ich werde darüber noch nachdenken und bin gespannt, ob es so bleibt.

Was ich sehr erschreckend fand, war der Umgang der nun Erwachsenen mit den älteren, insb ohne Wohlfahrtstaatnetz. Vor allem Marthe fand ich extrem schwierig, weil sie gleichzeitig so fromm ist. Ihre Härte ggü den Alten lässt Jens Sorge wie Nachgiebigkeit aussehen. Es geht wie im ersten Buch auch wieder um moralisches und akzeptiertes Verhalten (Gewalt von Sjur Gabriel; Verachtung und Scham ggü. Armut und Sucht, den Tod dieser in Kauf nehmend trotz Verwandtschaft). Kleine Hinweise wie die Kinder auf der Straße bestätigen dies als das normale. Das find ich als Kniff ganz spannend, gesellschaftliche Themen ganz nah an einer Familie zu zeigen und sie durch unwichtige Nebenfiguren auf die allgemeine Ebene zu heben.

Die Seefahrt war für mich ebenfalls chaotisch, aber jugendbuchvertraut durch klassische Elemente wie Zoff mit dem Koch, schlechtes Essen, Seekrankheit, cholerischer Kapitän, der eine nette Typ, Hauptcharakter Kajütenjunge. Ich hätte nicht erwartet, dass Sivert in dem Brief an seine Eltern so übertreibt und die Frauen sexualisiert erwähnt. Soll es seine 'Mannwerdung' verdeutlichen?

Dass das "N-Wort" ausgeschrieben wurde, fand ich sehr enttäuschend, das muss nicht sein. Die Begründung hab ich noch nicht gelesen, aber ich finde es generell schwierig zu rechtfertigen.

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Auch diese 90 Seiten des zweiten Bands haben mich in den Bann gezogen: Allein der Einstieg mit der volltrunkenen Oline, die so erbarmungswürdig erscheint, hat mich erschüttert. Im ersten Band klang ja an, dass sie mal andere Vorstellungen von ihrem Leben hatte und nun ist sie völlig abhängig von Menschen, die ihr Geld geben für einen Schluck Alkohol. Dieser Tippe Tue, der ein richtig mieser Typ ist (andere Begriffe, die mir in den Sinn kommen, verwende ich hier nicht) nimmt das von Olines Tochter erbettelte Geld und zwingt anschließend die Mutter, sich ihres zweiten Rockes zu entledigen und diesen zu verscherbeln - wie demütigend. Immerhin haben es zwei der Kinder , Ingeborg und Jens, geschafft, trotz des elterlichen Vorbilds, ohne Alkohol rechtschaffen zu leben. Zu Herzen ging mir ebenfalls Siverts Schicksal auf dem Schiff. Ich war beeindruckt von Amalie Skrams sprachlicher Kraft und diesem naturalistischen Erzählen des Lebens auf dem Schiff und des Stemmens gegen den verheerenden Sturm, dass ich mich direkt in die Situation hineinversetzt fühlte, in mir Bilder entstanden und mir fast der Atem stockte. Ich hatte das Gefühl, mitzuringen…. Ja, Marthe tat mir unendlich leid in ihrem Bemühen für Anerkennung der aus dem Brief abgeleiteten Leistung ihres Sohnes. Dieses Ringen der Menschen um Anerkennung: Nehmt mich/uns wahr; wir gehören dazu, leisten etwas in der Gesellschaft - doch letztendlich bleibt, wer unten ist, unten…. Es ist erschütternd.

Nun zu dem N-Wort. Ich gehe sehr wortgebunden vor und lese das Nachwort nach dem Lesen des Buches. Ich respektiere es, dass es hier in diesem Diskussionsraum nicht ausgeschrieben werden soll. Mich hat das Wort im Buch nicht gestört, weil ich es historisch eingeordnet habe. Mich hätte es sicherlich eher gestört, wenn es in der heute nichtrassistischen Weise geschrieben worden wäre. Das würde m.E. nicht in den Kontext passen. Der Rassismus in Siverts Brief ist durch das Verkürzen des Wortes nicht weg. Schlimm und erschütternd ist die Haltung zu den Menschen auf Jamaika und der Umgang der Kolonialist*innen mit ihnen. In aktuellen Texten sollte das „N…..“ - Wort nicht auftauchen, doch frage ich mich, ob der Mensch, der es nicht verwendet, nicht trotzdem Rassist sein kann….

Ich bin etwas ratlos und das letzte, was ich will, ist, andere Menschen zu kränken, glaube aber, dass ich es trotzdem manchmal tue..

Ilona

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Mir ging es auch so, dass ich die Szenen in Bergen und die Entwicklung der Verhältnisse innerhalb der Familie interessanter fand als das Seefahrerleben, auch wenn ich die Entwicklung von Sivert von einem seekranken Junge, der an Bord zu nicht viel nutze ist, hin zu einem (fast) vollwertigem Besatzungsmitglied ganz schön beschrieben fand.

Am besten gefallen hat mir die Brief-Szene (bis auf das N-Wort, an dem ich mich auch sehr gestört habe). Siverts Seefahrergeschichten (die wir ja schon aus objektiverer Sicht kennen) und die Reaktionen seiner Familie (inklusive Marthes Ausflug zum „Herrn Kunsel“) fand ich sehr witzig und rührend.

Auf das Glossar bin ich leider auch erst spät gestoßen. Etwas unglücklich gelöst, dass in den ersten Bänden nirgendwo darauf verwiesen wird.

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Mir ging es mit den Seefahrtsbegriffen ganz ähnlich: Den Dialekt verstehe ich da deutlich besser! Gleichzeitig hat es meinen Lesefluss wenig gestört. Ich hatte am Anfang von #Hellemyrlesen wirklich großen Respekt vor den vier Bänden und die starke Vermutung, ich würde vielleicht gar nicht mitkommen. Aber was hier so viele beschreiben, gilt auch für mich: ich muss mich eher zurückhalten, nicht einfach weiterzulesen. Schön finde ich das!

Gleichzeitig habe ich bei der Lektüre auch zu kämpfen. Oline und Sjur Gabriel in ihrer Armut, Abhängigkeit und Einsamkeit, von der sich die jüngere Generation nur noch abgrenzen oder flüchten kann.

Und Sievert, der das erste mal auf See, krank, allein und unerfahren und als schwächstes Glied in der Kette von all denen drangsaliert wird, die eigentlich für ihn verantwortlich sind und sich kümmern müssten.

Wie kann ich das beschreiben.. ich habe viel Empathie für die Figuren und ärgere mich wohl streckenweise über das Ausmaß des Elends und die wenigen lichten Momente, die sie haben dürfen. Vielleicht ist das eben Naturalismus, Schlimmes wird genau beschrieben ohne narrative Pointe (vielleicht, noch ist ja noch viel Lektüre übrig) - verbunden mit heutigen Leseerwartungen, bei denen detaillierte Gewaltbeschreibungen entweder in Genreliteratur stattfinden oder als Teil einer Helden- oder Heldinnenreise auf etwas hinauslaufen?

Naja, Sonntagsgedanken. Ich freue mich aber auf das Weiterlesen.

Mein kleines Highlight in Kapitel 2: Marthe und Jens unterhalten sich über Sjur Gabriel. Marthe beschwert sich, Jens legt ein gutes Wort für den Vater ein und futtert aber gleichzeitig ein Brot, nuschelt, spricht keinen Satz zuende und haut direkt wieder ab. Schön wenn fiktionale Charaktere einem so intensiv auf den Keks gehen :)

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Das Glossar habe ich auch erst jetzt entdeckt. Habe natürlich vorher nicht in den vierten Band gesehen.

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Ich habe mich gefreut, dass ich dirket wieder bei der mir bekannten Familie sein konnte. Es hat mich erschüttert, wenn auch erwartet, dass Oline es nicht geschafft hat, von ihrer Sucht loszukommen. Mir haben aber hier die Szenen an Land besser gefallen als die an Bord. Die eingeschworene Gruppe von Männern, die sich aufeinander verlassen müssen, hat mich nicht so interessiert. Bewegt hat mich v.a. die Figur des Jens, der Verständnis für seine trunksüchtigen Eltern aufbringt. Sein großes Herz war ja bereits in Band 1 aufgefallen. Die Entwicklung seiner Schwester Ingeborg hat mich befremdet. Natürlich hat sie sehr unter der viel zu großen Verantwortung und der Alkoholabhängigkeit ihrer Mutter gelitten. Dennoch hätte ich nicht erwartet, dass sie nun so auf ihren Bruder herabblickt. Siverts Lügen finde ich verständlich und verbuche sie unter den Größenwahn der Pubertät. Er musste zu Anfang wirklich viel erdulden bis er sich auf dem Schiff eine gewissen Anerkennung erarbeitet hat. Mit der Sprache hatte ich keine Probleme. Ich bin zwar keine Seglerin, das war aber nicht schwierig, habe einiges geraten und einiges nachgeschlagen. Siverts Brief an die Familie zeigt deutlich das Überlegenheitsgefühl der weißen Bevölkerung.

Das Nachwort von Nora Pröfrock habe ich nun erst nach euren Kommentaren gelesen, da Magda ja diese Etappe bis Seite 90 angegeben hatte. Ich verstehe eure Vorbehalte. Meiner Ansicht nach hat Nora Pröfrock ihre Vorgehensweise nachvollziehbar erklärt. Ich hätte das N...wort im Text wahrscheinlich auch gelassen, aber mit einem Sternchen markiert, das auf das Nachwort hinweist.

Susanne (@lesetier57)

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Ich bin nicht ganz so stark in den Lesesog gekommen, wie beim letzten mal. Die Familenszenen fand ich wieder großartig. Bedrückend fand ich, dass jetzt die Tochter gegenüber der Mutter gewalttätig wird. Auch die Standesunterschiede wurden schön geschildert.

Sehr gut hat mir auch die Beschreibung des Bordlebens gefallen. Habe gelesen, dass Amelie Skram ihren Mann öfter begleitet hat auf Reisen, und da hat sie sicher einige Erfahrung einbringen können. Und auch wenn ich nicht alle Ausdrücke verstehe, ich hab diese Sprache sehr genossen. Ich liebe alte Segelschiffe, und war sehr glücklich über die anschauliche Darstellung.

Und nun zu dem Brief - erstens hatte ich wirklich Mühe den zu lesen, da zum Dialekt noch eine abenteuerliche Schreibung kam. Und: Ich hab wirklich kein Verständnis für die Verwendungung des N-Worts. Habe dann auch im Nachwort die Erklärung der Übersetzerin gelesen, aber die macht für mich keinen Sinn. Ja ich empfinde es komplett unlogisch. Mal hat das N-Wort keine literarische Funktion, mal dient es der Charakterisierung der Figuren? Es ist doch das selbe Wort, und Sivert verwendet es in seim Brief, weil er es in seinem Alltag nun mal allgegenwärtig ist. Warum ersetzt man es dann in den einen Szenen, und lässt es in anderen drin, sodass es in den Brief viel krasser wirkt?

Ich freue mich aufs Weiterlesen, bin gespannt wie es Sivert weiter ergeht.

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Mir ging es hier ähnlich wie dir, Magda. Mit dem Dialekt hatte ich im zweiten Band weniger Probleme, dafür dann mit den nautischen Begriffen. Vielleicht als Hinweis ganz sinnvoll: Im vierten Band gibt es ein Glossar, in dem die Begriffe erklärt werden. Das hat mich ein wenig geärgert, dass ich das erst so spät festgestellt habe und ich versteh die Entscheidung auch nicht wirklich, warum man das ans Ende des vierten Bandes packt.

Inhaltlich halte ich mich an dieser Stelle zurück, weil ich schon den kompletten zweiten Band gelesen habe (Sogwirkung, ich konnte dann nicht aufhören ...) und mich nicht mehr genau erinnere, wo die Teilung war ... :D

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Jan 29, 2023Liked by Magda Birkmann

Ich empfand wieder einen Sog, der mich Seite um Seite hat weiterlesen lassen. Gerade die oft genauen Schilderungen haben für mich häufig das Gefühl erzeugt, als sei ich mittendrin im Geschehen, sowohl auf dem Schiff, in der Bar oder auch wenn Marthe eine Belohnung abholen wollte (da hat es sich angefühlt, als säße ich auf ihrer Schulter, allerdings mit dem Unbehagen, dass ihr Unterfangen vermutlich scheitern wird).

Die Übersetzung von Nora Pröfrock finde gut lesbar. Allerdings folgt hier mein großes ABER: Auch ich habe ein sehr großes Problem mit der Entscheidung, dass das N-Wort ausgeschrieben wurde. Und ja, auch wenn Nora Pröfrock eine Erklärung im Nachwort geschrieben hat, sie reicht mir absolut nicht aus. Ich bin der Überzeugung, dass es das ausgeschriebene Wort nicht gebraucht hätte. Deine Version zum Beispiel mit N*** plus Fußnote oder einfach eine Umschreibung hätte meiner Meinung nach im Kontext völlig ausgereicht.

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