4 Kommentare

Danke, liebe Magda. Ich habe Vieles am Ende und insgesamt ähnlich empfunden wie Du und die anderen Teilnehmenden des Lesekreises.

In diesem letzten Abschnitt hat mich gleich zu Beginn Fies Schicksal/Leben mitgenommen. Ausgelöst von Siverts perfiden ( Du musst nicht…) moralischem Druck, diesen Nilsen zu heiraten, um ihn und damit die Familie zu retten, denkt Fie an ihre Beziehung zu Riber. Und allein die Sätze „… und ihm unter glücklichen Tränen ihren Körper überlassen hatte, desto weniger hatte sie sich geschämt. Fast stolz war sie darauf, dass sie alles dem geopfert hatte, den sie liebte. Und dadurch hatte sie gleichsam den Sinn des Daseins erahnt.“ haben mich erstarren lassen beim Lesen. Nein, es hat mich sogar gegruselt: Frauen opfern sich aus Liebe . Arme Fie, die so viel Potential hat. Ich war richtig erleichtert, dass Amalie Skram mit Kristian Aall ein Zeichen für eine mögliche kommende bessere Zeit setzt. Ich war überrascht über seine zartfühlende Verliebtheit und seine Größe , an seiner Liebe zu Fie festzuhalten nach deren Offenbarung ihrer Beziehung zu Riber. Ein Lichtblick - es könnte ein besseres Leben für sie geben. Ich glaube, allein die Aussicht, nicht mehr von Petra schikaniert zu werden, lässt sie Positives in der Ehe mit Nilsen sehen. Berührt hat mich, wie sehr sie sich dann ihrem Kind in inniger Liebe verbunden fühlt. Beeindruckend ihr Brief an Petra am Ende dieses Bandes.

Hochinteressant und mein Gefühl bestätigend finde ich Lydias Gesundung. Nicht gerechnet hätte ich mit einer Schwangerschaft ihrerseits. Der Gedanke an das ungeborene Kind, das ihr eine kleine Betty sein soll, erfüllt mich mit Mitleid. Welch‘ große Erwartungen lasten auf ihm. Wird es überhaupt eine Chance haben, seinen eigenen Weg zu gehen, seine Träume und Begabungen leben zu können????

Über Sivert bin ich auch wütend hinsichtlich seiner Unfähigkeit, seine Chancen, die er durchaus hatte ( oder bin ich mit dieser Einschätzung im neoliberalen Fahrwasser??), zu nutzen und Verantwortung für seine Familie zu übernehmen; doch die Sterbeszene versöhnt mich ein wenig mit ihm: Wiederum reflektiert er sein Leben und Amalie Skram legt ihm eine - immer noch gültige- Gesellschaftskritik in den Mund: Andere, die dasselbe getan haben wie er, laufen frei herum, weil sie Geld haben und oben sitzen. Genau das will ich bei allem Unverständnis für seine Handlungen nicht vergessen.

Froh bin ich, dass Henrik überlebt. Wieder zeigt er sich großherzig seinem Freund Severin gegenüber und sieht den Diebstahl als Missverständnis, will ihn unbedingt retten. So erschütternd Severins Suizid ist, so konsequent ist er, denn Severin hätte - anders als sein Vater- nicht mit einem Gerüst aus Lügen und Betrügereien leben können. Andererseits frage ich mich auch - geprägt von der jetzigen Zeit-, warum es ihm nicht gelungen ist, von Petra und den Geschwistern wegzuziehen, um sein Studium abschließen zu können.

Wer mir Rätsel aufgibt und es mir furchtbar schwer macht, etwas Positives an ihr zu sehen, ist Petra. Allein wie hart sie mit Matæa umgeht, ist kaum zu ertragen. Alle Kinder spüren, dass sie ihnen und auch Sivert unrecht getan hat, sich oft etwas gegönnt hat ( ihren Tee, eine warme Stube, ein Butterbrot) während die anderen hungerten und froren. Wie ist es möglich, dass sie nicht in der Lage ist, Liebe zu geben? Woher mag diese Kälte rühren, frage ich mich. Klar, sie hat eine enorme emotionale Verletzung durch Konsul Smith erlitten, ist umgeben von einer ungerechten und verlogenen Gesellschaft - doch reicht das als Erklärung aus? Ist sie schlicht und ergreifend überfordert von ihren Aufgaben? Ja, und es gibt sie immer noch, Menschen die überfordert den ihnen anvertrauten Menschen nicht gerecht werden können. Da braucht es eine soziale Gesellschaft, die dann einspringt und Verantwortung übernimmt, damit Kinder aus dem Kreislauf des Elends herausfinden können. Das war damals nicht vorhanden. Anders als Sivert sieht Petra sich kein bisschen kritisch. Nein, sie lässt mich erschüttert zurück ( und irgendwie auch Amalie Skram) mit dem letzten Satz der Tetralogie: „Ach, wie würde sie die dann verprügeln.“ Hej, Amalie, habe ich gedacht, so darfst Du uns nicht zurücklassen. Tja, kein Hollywood-Ende, womit ja auch nicht zu rechnen war.

Mein Fazit: Diese verrückte enge Welt, die es jungen Menschen, die sich lieben, nicht gönnt, dieser nachzugeben. Immerhin strahlen am Ende die Frauengestalten Fie, Lydia, Lina eine gewisse Zufriedenheit aus in dieser ansonsten von Härte, Lieblosigkeit, Enge, Armut, Unglück, Ungerechtigkeit, Tod geprägten Familiensaga. Ich bin unserer jüngsten Tochter sehr dankbar für das Geschenk dieser Tetralogie, das sie verbunden hat mit der Bitte/ dem Vorschlag, sich an diesem Lesekreis zu beteiligen. Mein Mann hat die vier Bände gelesen, wollte aber keine weiteren Verpflichtungen eingehen. Ich habe mich darauf eingelassen und fühle mich bereichert von der Lektüre und dem Austausch in Magdas Lesekreis. Lange habe ich mich nicht mehr so intensiv mit meiner Lektüre auseinander gesetzt. Ich freue mich, dass - wie auch in der Musik - nun die Klassikerinnen in den Blick genommen werden. Begeistert hat mich immer wieder Amalie Skrams Sprache und die sensible Darstellung der Personen, die beeindruckend hellsichtige und kritische Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände. Vieles hat sich - zumindest für uns in West- und Nordeuropa seitdem verbessert, doch manchmal bekomme ich Angst, wenn ich auf die heutige Gesellschaft blicke. Es gibt Bestrebungen, die erkämpften Rechte wieder zurückzuschrauben; Menschen durch politische Entscheidungen in die Armut zu treiben, soziale und Bildungseinrichtungen nicht ausreichend auszustatten, Heldentum und Militarismus zu bejubeln…

Ich wünsche mir, dass meine Enkelkinder und allle zukünftigen Generationen in einer gerechten, mit allem Lebenden mitfühlenden und toleranten Welt leben können.

Ich freue mich über die wunderschöne Gestaltung der Einbände dieser Tetralogie- das nenne ich Wertschätzung dem Medium Buch gegenüber.

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Auch wenn ich natürlich nicht mit einem Happy End im letzten Leseabschnitt gerechnet hatte, war ich doch ziemlich schockiert in dem Moment, als Severin den Umschlag an sich nimmt (und hätte fast, in der Berliner S-Bahn sitzend, das Buch angeschrien, dass er das doch bitte lassen soll)

Tröstlich fand ich, dass Amalie Skram die Generation von Fie, Severin und Henrik mit so vielen guten Eigenschaften (Empathie, Verständnis, Zuneigung) ausstattet, im krassen Gegensatz zu allen anderen Hauptpersonen. Einschließlich Lydia und Konsul Smith, die es nicht vermögen, ihre Tochter Lina vor der Hochzeit mit dem schrecklichen Leutnant Riber zu bewahren. Eine Abrechnung der Autorin mit ihrer Generation, sozusagen.

Auch wenn Band 3 einige Längen hatte, war ich insgesamt sehr fasziniert von Amalie Skrams Schreibkunst. Die vielen Perspektivwechsel, die medzinisch/psychologische Kenntnis oder auch die Kraft, einen so ambivalenten Charakter wie Sivert so lange am Leben zu halten, haben mich sehr beeindruckt.

Für mich war dieser (mein erster) Lesekreis ein großes Abenteuer. Dank Eurer interessanten und aufschlussreichen Kommentare wird mir der Romanzyklus noch lange in Erinnerung bleiben.

Vielen herzlichen Dank, Magda, für Dein Engagement und Deine Mühe! Es war an jedem Sonntag Morgen eine bannich große Freude, Deine Posts zu lesen.

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Viel ist passiert in diesem letzten Leseabschnitt. Es gab sogar noch einen vierten Todesfall außerhalb der Familie, Frau Lind. Indirekt hat dieser ja dazu geführt, dass sich Lydia wieder erholt hat und sich auf ihr Kind freut.

Schrecklich fand ich das Schicksal von Severin. Hier hat sich noch mal die Szene wiederholt, als Sivert am Schiff die beiden Franzosen bestohlen hat. Nur dieses mal mit tragischem Ausgang, obwohl Hendrik sofort verständnisvoll reagiert hat. Wie traurig, dass Severin es nicht geschafft hat, aus der Armut und den tragischen Familienumständen herauszukommen.

Nicht viel erfreurlicher das Schicksal von Fie, die sich gefügt hat, den ungeliebten Mann zu heiraten. Aber hier gibt es zumindest einen Hoffnungsschimmer. In diesem nüchternen Brief am Ende erteilt sie ihrer Mutter eine Absage und es bleibt zu hoffen, dass zumindest Fies Kinder geliebt und behütet aufwachsen.

Danach habe ich noch die Nachworte von Band 3 und 4 gelesen und bin sehr dankbar, dass wir hier vor dem Nachwort von Band 3 gewarnt wurden, das das Ende von Band 4 verrät. Das finde ich schon etwas unglücklich, auch wenn die Nachworte natürlich ihre Berechtiung haben und auch sehr interessant waren.

Für mich war das ein sehr interessantes Leseprojekt. Am meisten beeindruckt haben mich der knappe, tragische erste Band und das Seefahrtsabenteuer im zweiten. Danach wurde es ein bisschen unübersichtlicher durch die Vielzahl der Personen. Aber insgesamt, in der Rückschau, passt es für mich wieder. Die alltägliche Gewalt, die Armut, das Patriarchat, die absurde Gottgläubigkeit, alles das kommt in allen Bänden und vielen Situationen durch. Ich habe mich oft gefragt, wie es den Zeitgenoss*innen von Amalie Skram mit diesen Schilderungen ging.

Herzlichen Dank an Magda für Idee und die sehr aufwändige Begleitung des Lesekreises. Es war für mich sehr bereichernd die unterschiedlichen Kommentare zu lesen. Und ich hätte natürlich Interesse an einem weitern Lesekprojekt.

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Nun bin ich doppelt traurig. Erstens weil diese Leserunde nun zu Ende ist, und zweitens wegen des Endes, das Amalie Skram uns als Leser/innen bereitet. Ich hatte doch einen Funken Hoffnung für Fie und Severin, für Henrik und Lina.

Nun hat Fie doch den ungeliebten Elias Nilsen geheiratet. Wie genau diese Ehe aussieht, wissen wir nicht, nur dass er geizig und ihr zuwider ist. Warum ist sie diese Ehe eingegangen? Sie fühlt sich verpflichtet, ihrem Vater helfen zu müssen, doch ich glaube auch, dass sie sich zusätzlich selber bestrafen will. Leutnant Rieber kann sie nicht haben und Kristian Aall glaubt sie, nicht verdient zu haben. Bis zum Schluss habe ich gehofft, dass sie Elas verlässt und sich Kristian zuwendet. Doch Amalie Skram schont uns nicht. Immerhin bleibt zu hoffen, dass Fie ihrem Kind (ihren Kindern?) eine bessere Mutter sein wird.

Die Beschreibung des Hungers und der Kälte, die Severin aushalten muss, ist körperlich spürbar. Es ist fast nicht zu glauben, dass sich Petra einen warmen Ofen gönnt und ihre Kinder hungern und frieren lässt. Warum habe ich für Sivert bis zu seinem Tod im Gefängnis immer noch einen Rest von Sympathie übrig, für Petra dagegen nicht? Keine der Figuren wird von der Autorin so negativ geschildert wie Petra.

Siverts Ende habe ich lange vorausgesehen, früher oder später musste er für seine Vergehen im Gefängnis landen. Trotz aller Betrügereien liebt er, anders als seine Frau, die Kinder. Er stirbt in Frieden, da er das Gefühl hat, im Gefängnis für seine Taten gesühnt zu haben.

Lina hätte ich für schlauer gehalten, als diesen Windbeutel Riber zu heiraten. Ich verstehe, dass auch sie sich gefangen fühlt im gesellschaftlichen Korsett. Für ihren Bruder wäre eine Verbindung von ihr und Severin vorstellbar gewesen, ihr ist es noch nicht möglich, sich über gesellschaftliche Konventionen und Zwänge zu erheben. Die Verbindung wird nicht glücklich werden, das sieht ihr Bruder Henrik auch so.

Henrik ahnt leider nur, wie schlecht es seinem Freund Severin geht. Er hat nie gefroren oder gehungert. Das tatsächliche Ausmaß von Siverts Armut liegt jenseits seiner Vorstellungskraft. Hätte er wissen können oder müssen, wie es tatsächlich um seinen Freund steht? Er hätte die Möglichkeiten gehabt, zu helfen.

Andrea ist nach dem Tod ihres Mannes davongekommen. Eine Scheidung bleibt ihr erspart. Ob sie nun klüger sein wird, weiß ich nicht.

Petra bleibt Petra. Sie ist unzufrieden, mit ihrem Schicksal, ihrem Leben und mit ihren Kindern. Nie sucht sie die Schuld bei sich, immer nur bei anderen. Der Brief, den Fie ihr schreibt, macht sie nur wütend. Sie ist nicht in der Lage, das Geschriebene zu reflektieren.

Wo bleiben kleine Lichtblicke? Es freut mich, dass Fie es endlich geschafft hat, ihrer Mutter die Meinung zu sagen und sich von ihr zu lösen.

Und Lydia ist anscheinend doch nicht an Syphilis erkrankt, sondern hatte nach dem Tod ihres Kindes eine schwere Depression. Da hatte Ilona vollkommen recht. Auch wenn Lydia nicht begreifen kann, dass ihr Mann, den vorehelichen Fehltritt nicht verurteilt, bleibt diese Beziehung die einzig glückliche im Buch.

Im Nachwort habe ich gelesen, dass Skram auch eigenes Erleben in ihren Büchern verarbeitet. Ich verstehe ihre Gesellschaftskritik, doch hätte sich meine empfindsame Seele ein bisschen mehr Hoffnung am Ende gewünscht. Einen 5. Band hätte ich noch gerne gelesen. So verabschiede ich mich mit Wehmut von Hellemyr und von euch, bedanke mich für den Austausch und vor allem bei Magda für die Möglichkeit dazu. Vielleicht gibt es einmal ein weiteres Projekt....???

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