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Es gibt aber auch durchaus positive Szenen im Buch, wenn Sjur Gabriel sich liebevoll um seinen jüngsten Sohn kümmert oder wenn Jens sich um die Mutter sorgt und in der Nacht zum Boot läuft, um sie nach Hause zu holen. Bei all dem Schrecklichen, der Armut, der Gewalt und der Ausweglosigkeit, zeigt Amalie Skarm auch Liebe zwischen den handlenden Personen.

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Ja, die Szenen, in denen sich Sjur Gabriel liebevoll um seinen Sohn kümmert, waren für mich auch die schönsten.

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Mich hat das Buch auch ganz schön mitgenommen. Ich kam mir streckenweise vor, als wäre ich in einem Film von Lars von Trier gelandet: Einöde, Dauerregen und die zunehmende Gewissheit, dass die tragische Handlung keine positive oder irgendwie erfreuliche Wendung mehr nehmen wird.

Den Dialekt fand ich dann eher tröstlich, weil er mich etwas aus dem Sog der Tragödie herausgeholt hat: Wenn die Handlung schon keine Hoffnung gibt, konnte ich mich doch immerhin an den originellen und manchmal sehr berührenden Aussprüchen der Personen erfreuen.

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Das ging mir ganz ähnlich - sehr düster, das alles. Einige Stellen, zB die Krampfanfälle von Klein-Gabriel fand ich gefühlt überzeichnet oder überspitzt durch die wirklich sehr detaillierte Beschreibung. Ich kann das allerdings nicht ganz einordnen - würde mich sehr interessieren, wie es anderen beim Lesen damit ging.

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Ich fand die Krampfanfälle eigentlich sehr gut erzählt in dieser Detailtreue. Weil ich dadurch so richtig nah dabei war, es fühlte sich quasi an, als stünde ich selbst hilflos vor dieser Wiege. Man muss ja auch ebdenken, dass Sjur Gabriel als eifnacher Bauer vom Land aus der damaligen Zeit vermutlich wenig medizinisches Wissen hat und dadurch keinerlei Möglichkeit, das einzuordnen (im Gegensatz zu uns, die wir solche Anfälle zumidnest aus Filmen etc. kennen, wenn nicht sogar aus eigener Erfahrung). Dadurch fühlt sich sowas glaube ich dann nochmal viel drastischer und schlimmer an und das hat Skram in dieser Szene gut eingefangen, fand ich.

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Sehr eindringlich finde ich auch die Passagen, in denen Sjur Gabriel versucht, Oline vom Trinken abzuhalten und sie ihm dann doch entwischt. Diese Verzweiflung und anschließende Resignation ist quasi greifbar. Auch das Verhalten der Kinder ist sehr klar heraus gearbeitet in diesem Sucht-Familien-System. Die Tochter, die die Mutteraufgaben übernimmt und zum Erwachsen-Sein gezwungen ist, um nur ein Bespiel zu nennen. Die Überforderung von Sjur Gabriel, die sich in Gewalt gegenüber der Kinder explosionsartig Bahn bricht. Das Unbehagen ergreift mich hier als Leserin direkt.

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Ja, ich fand auch die szene krass, in der Sjur Gabriel merkt, dass seine Teenietochter total überfordert ist und er ihr zu viel Verantwortung aufbürdet, und er versucht, sanft mit ihr zu sein, ist aber gleichzeitig selbst überfordert mit der Gesamtsituation. Das fühlte sich sehr real an.

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Sehr erschütternd fand ich auch die kurze Szene mit dem Brei, nachdem Oline aus dem Krankenhaus zurück ist und Ingeborg ihr ihre Abwesenheit vorwirft und sagt, sie hätte ja eh alles machen müssen, dan könne sie jetzt auch den Brei machen. Und Oline sie daraufhin schlägt. Damit setzt sie ja letztlich Sjur Gabriels Verhalten fort, der wiederum ihre Trunksucht von ihr "übernimmt".

Als in Norddeutschland aufgewachsene Berlinern habe ich keine Probleme mit dem Dialekt, bin aber sehr gespannt, wie (und ob) er sich mit der fortschreitenden Zeit in den nächsten Büchern entwickelt, Sprache verändert sich ja.

Insgesamt hat es mir sehr gut gefallen, ich war auch sofort "drin" im Buch.

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Auch ich war direkt mitten in der Geschichte. Amalie Skrams Figurenzeichnung hat mich fasziniert. Sie scheint nicht nur Verständnis, sondern sogar Sympathie für alle handelnden Personen zu haben. Die Ausweglosigkeit, in der sich die Familie befindet, hat mich erschüttert. Wenn Sjur Gabriel Oline aus dem Krankenhaus abholt und sie an ihre Hütte daheim denkt und an die schwere eintönige Arbeit, springt mich ihre Verzweifelung förmlich an. Ich hätte gerne noch mehr von ihren Gedanken und Gefühlen erfahren. Aber da der erste Band "Sjur Gabriel" heißt, steht er mehr im Fokus. Seine brutalen Prügelattacken und seine Wut stoßen ab. Umso erstaunter war ich, dass er nach dem Krankenhaus bei Gott schwört, Oline nicht mehr zu schlagen und das auch durchhält. Das Ringen mit Gott um sein Seelenheil und die Auseinandersetzung mit seiner Schuld haben mich sehr beeindruckt. Ich bin schon ungeheuer gespannt auf Band 2. Ein besonderer Dank an Christel Hildebrandt für die Übersetzung!

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Ich fand auch den Moment sehr bewegend und ja, erschütternd, als nach Klein-Gabriels Tod beide Eltern sich jeweils selbst die Schuld dafür geben und ihn als Strafe Gottes für ihre jeweiligen Verfehlungen betrachten. Das war so traurig. Auch dass sie nun beide keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihre Trauer in Alkohol zu ertränken.

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Danke für die ausführliche Zusammenfassung, hier noch ein paar Gedanken von mir.

Was mich am meisten beeindruckt hat (neben der angesprochenen Sogwirkung) ist die Lebendigkeit und Ambivalenz der Figuren. Das Kilschee vom trinkenden, prügelnden Ehemann wird eben NICHT bedient, und der gewalttätige Ehemann hat genau so seine guten Seiten wie seine alkoholkranke Frau. Die Gewaltdarstellungen sind für unsere Zeit heftig, aber ich fürchte, dass diese Gewalt zur Entstehungszeit des Romans noch viel alltäglicher war als heute.

Mit dem Dialekt hab ich - als norddeutschland-affine Österreicherin - kaum Probleme, zumindest im Vergleich zu anderen Lektüren.

Ich bin gespannt wie es weitergeht, werde aber noch ein paar Tage warten, bis ich mit Band 2 beginne. Ich habe den Verdacht, dass ich eine längere Pause mitten im Buch schwierig wird, wenn das mit dem Lesesog so weiter geht.

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Ja, die Figuren sind wirklch sehr rund und eben ambivalent. Mich hat z.B. Sjur Gabriels Liebe und Aufopferung für seinen kleinen Sohn total gerührt. Oder dieser ganz kurze Moment, wo klar wird: Sjur Gabriel weiß, dass er seine 13jährige Tochter gerade total überfordert und viel zu große Verantwortung auf ihr lastet, und er versucht sanft mit ihr zu sein. Das hat ihn irgendwie total menschlich und ein Stück mehr sympathisch für mich gemacht.

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Aus heutiger Sicht finde ich es auch so erstaunlich, dass Amalie Skram hier im Prinzip einen (zeitweilig) alleinerziehenden Vater beschreibt, der über achtsame Zuwendung und Fürsorge eine ebenso enge Bindung zu seinem Säugling herstellen kann wie die Mutter - und das in einer Zeit, als es noch keine Hilfsmittel wie Brustpumpe, Pre-Nahrung & Co gab. Damals war das mit Sicherheit eine große Ausnahme, aber selbst heute ist es z.T. ja noch eine durchaus gängige Ansicht, dass die Mutter aufgrund biologischer Gegebenheiten zur ersten und wichtigsten Bindungsperson eines Kindes prädestiniert sei. Das zeigt, wie wahnsinnig modern der Text immer noch ist.

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Ja, das stimmt. Und dass er das mit der Fürsorge eben auch ganz "instinktiv" und ohne Anleitung hingekriegt hat, so wie es von Frauen seit jeher erwartet und wie es Männern normalerweise gar nicht zugetraut wird.

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Ich finde es beeindruckend, wie Amalie Skram auf so wenigen Seiten im ersten Band schon so viel Leben und Hintergründe packt. Man bekommt ein sehr gutes Gefühl für die damalige Zeit und Gesellschaft und wie du auch schon meintest, gibt es kein Schwarz oder Weiß, sondern sehr viele Grautöne, in denen sich die Charaktere verlieren.

Mit dem Dialekt habe ich (als Süddeutsche) wirklich arge Probleme, ich merke nämlich, dass ich häufig dazu neige, Absätze zu scannen, statt genau zu lesen und bei all den Dialekt-Sätzen gelingt mir das nicht auf Anhieb. Aber das ist auch gar nicht so schlimm, dann konzentriere ich mich mehr aufs Lesen. Und ich bin schon sehr gespannt, ob sich hier in den nächsten Bänden ein Gewohnheitseffekt einstellen wird.

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Ja, als fellow Süddeutsche geht es mir da wirklich ähnlich wie dir, was den Dialekt angeht, aber ich finde die Geschichte so mitreißend, dass es mir immer besser gelugnen ist, das eifnach hinzunehmen und mich darauf einzulassen.

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Die Übertragung des Dialekts, bzw. der Dialekte, war wirklich eine große Herausforderung. Die Lösung, für die wir uns entschieden haben, ist sicher nur eine von vielen. Die eine perfekte Übertragung gibt es vermutlich nicht - auch wenn ich mich da gern eines Besseren belehren lasse! :)

Aber als Hintergrund kann ich hier vielleicht noch beitragen, dass der ländliche Strile-Dialekt, den Oline und Sjur Gabriel sprechen, ein sehr lokales Phänomen ist, mit dem sich viele Norweger*innen, die aus anderen Ecken des Landes kommen, ebenfalls schwertun. Schon zur Entstehungszeit des Romans wurde er vom Publikum z.T. als "Teufelssprache" wahrgenommen, weil er so unverständlich war. Für heutige Leser*innen kommt noch der zeitliche Abstand hinzu, der das Ganze zusätzlich erschwert. Christel Hildebrandt, die den Band übersetzt und die deutsche Form des Strile-Dialekts entworfen hat, geht darauf auch in ihrem Nachwort ein.

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Dass der Dialekt auch für die zeitgenössischen Leser*innen des Romans ungewöhnlich und befremdlich war, macht es irgendwie dann wieder stimmiger für mich, dass ich damit so gestruggelt habe. Danke für die Erklärung! Ich bin auch gespannt, wie sich die Sprache in den weiteren Bänden entwickelt.

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So dankbar, dass die Übersetzung sich den Dialekten gestellt hat. Das Erleben ist so anders. Da ich selber zwischen Dialekten und Milieusprachen groß wurde, mag ich Literstur sehr, die das abbildet. Wenn in die Richtung jemensch Empfehlungen hat...

Und ebenso immer wieder neu faszinierend die Selbstverständlichkeit von "Gott" im Fühlen, Denken, Sprechen der Menschen, die hier so leichtfüßig abgebildet ist.

Gerade gestern erst begonnen und nun voller Freude auf Band 2 ff..

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Das ist ein schönes Kompliment, vielen Dank!

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Ja, ich selbst bin überhaupt nicht religiös, aber finde Literatur, die Religion ernst nimmt, auch immer total faszinierend. Lese ja auch total gern Romane über so englische Pfarrfamilien etc. (Trollope z.B.!)

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Eine meiner Lieblingsstellen ist der Dialog zwischen Oline und der Wirtin Guri, ganz am Anfang des Buchs. Es fängt an mit den alleroberflächlichsten Allgemeinplätzen und geht dann weiter mit dem Feilschen um ein Tuch, weil Oline Geld braucht. Ich fand die Stelle witzig und schrecklich gleichzeitig.

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Ja, es sind irgendwie echt diese kleinen eher usncheinbaren Szenen, die besonders faszinierend wirken. Bei mir ist es wie gesagt die Szene, wie sich die alte Nachbarin nachts im Dunkeln ankleidet mit diesen vielen verschiedenen Lagen, als Sjur Gabriel sie wegen der anstehenden Geburt zu Hilfe holt. Das fand ich irgendwie unglaublich witzig.

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Diese Szene liebe ich auch. :)

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Eher am Rande, aber: Selten hat mich der letzte Satz eines Buches so sehr beeindruckt wie der von Sjur Gabriel. Mir fällt nichts vergleichbares ein.

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Oh ja, der letzt Satz ist ein Hammer!

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Stimmt. So nüchtern (höhö) und lakonisch und gleichzeitig so unglaublich beklemmend, und einerseits ist es wie ein Schlag ins Gesicht, andererseits macht es das Buch total rund und ist im Nachhinein betrachtet eigentlich ein total logisches Outcome.

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Ja, alles das!

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