ich habe die letzten zwei Tage durchgpowert und Leseabschnitte 3 und 4 geschafft, bin jetzt also wieder up-to-date. Danke, dass ihr in der letzten Etappe die Diskussion so schön übernommen habt!
Den Leseabschnitt, um den es heute gehen soll, nennt Le Guin selbst den “hinteren Teil des Buchs” und tatsächlich unterscheidet er sich ja nochmal stark von den vorherigen Leseabschnitten, die darin enthaltenen “Sachtexte” stehen im Kontrast zu den eher “literarischen” Texten aus dem vorderen Buchteil. Meine Vermutung ist ja, dass Le Guin sich da gewissermaßen von Tolkien hat inspirieren lassen, denn auch zum “Herrn der Ringe” gibt es ja nochmal die über hundert Seiten der “Anhänge”, in denen er in einem eher sachlichen als erzählerischen Tonfall Details zu Geschichte, Bräuchen und Sprache von Mittelerde preisgibt, die im eigentlichen Romantext keinen Platz gefunden haben. In der Einführung zu ihrem Glossar der Kesh-Sprache bezieht sich Le Guin sogar ganz explizit auf Tolkien und seine Vorbildfunktion.
Insgesamt habe ich diesen Hinteren Teil wesentlch nüchterner und trockener im Tonfall empfunden als die vorherigen Abschnitte, dadurch war er natürlich auch viel weniger mitreißend und ich habe ihn, muss ich zugeben, stellenweise wesentlich weniger aufmerksam gelesen als die anderen Teile, sondern mich viel mehr von meinen Interessen treiben lassen, einige Abschnitte nur überflogen, andere dagegen genauer angeschaut. Aber ich glaube eigentlich, dass Le Guin sich das auch genau so gedacht hat. Um Pandoras Lehrer Glimmer zu zitieren: das Buch ist “ein kleiner Beutel, in den doch so viele Nüsse passen” (S. 616) und jede*r von uns kann in diesen Beutel reingreifen und diejenigen Nüsse rausholen, die uns besonders gut schmecken…
Wie ging es euch mit diesem Leseabschnitt? Welche Erklärungen über die Lebensweise und Weltsicht der Kesh haben euch nochmal besonders fasziniert? Und habt ihr euch schon an einem der Kochrezepte versucht? Lecker klingen sie ja irgendwie alle…
Es beruhigte mich sehr, zu lesen, dass auch Du Magda in diesem hinteren Teil selektiv gelesen hast. Faszinierend finde ich den Aufwand , den die Autorin betrieben hat, um die Welt der Kesh und ihr Umfeld bis hin zu ethischen Werten verständlich zu machen. Und sogar ein Wörterbuch für deren Sprache hat sie entwickelt. Irre! Dieses habe ich wirklich nur punktuell angeschaut/gelesen. Mir fällt allerdings auf, welche wichtige Rolle die Sprache immer wieder spielt: Sei es die Bezeichnung der Häuser, die Namen der Menschen... (Penisweide(!!!), wo die jähzornigen Eselhengste gehalten wurden). Als Esel-Liebhaberin habe ich mich über die beschriebene wichtige Rolle meiner Lieblingstiere gefreut. Auch diese Etappe weckte bei mir Assoziationen an verschiedene Religionen und das Leben der Völker, die sehr naturverbunden leben.
Bisher plane ich nicht, ein Rezept nachzukochen. Allerdings erinnert mich das eine oder andere Gericht durchaus an heutige Gemüsegerichte, z.B. "Rot und Grün". Ein wenig geschüttelt habe ich mich bei dem Gedanken an Eichelmehl. Das klang für mich nicht verlockend. Bisher dachte ich, für uns Menschen seien Eicheln unbekömmlich.
Intensiv gelesen habe ich die sehr ausführliche Beschreibung der Tänze; die Gemeinschaft hat eine hohe Bedeutung, der wird viel Zeit gewidmet.
Amüsiert habe ich mich über das Kapitel über die Bahn. Ich war versucht, es der Deutschen Bahn zu schicken. Die Idee, Züge von Ochsen oder anderen Tieren ziehen zu lassen, könnte eine Maßnahme zur Überbrückung der Bahnprobleme sein....
Gehadert habe ich teilweise mit den Anmerkungen zu medizinischen Praktiken. Bei der Erwähnung der "Euthanasie" , dem Töten von schwer fehlgebildeten menschlichen und tierischen Neugeborenen standen mir die Nackenhaare zu Berge, weil ich an die verbrecherische Praxis der Nazi-Zeit denken musste. Andere Prinzipien der Medizin versöhnten mich wiederum mit dem Kapitel: Auf S.593 wird darauf eingegangen, dass für die Genesung die "Aufmerksamkeit", eine stressfreie Umgebung, Wärme, Ruhe notwendig seien und auf S. 597 beeindruckte mich der Ansatz, es ginge nicht um Ideale perfekter Gesundheit, ewiger Jugend und der Auslöschung von Krankheit. Das ist etwas , was meiner Meinung nach unsere klassische Schulmedizin manchmal aus dem Auge verliert. Berührt hat mich der Satz, es ginge darum, dass das Leben nicht härter sein sollte, als es sein muss.
Als absolute Bücherfreundin hat mich das Kapitel über "Gesprochene und geschriebene Literatur" zum Nachdenken gebracht. Hier lese ich einen Appell an die mündliche Überlieferung heraus, weil dabei eine Beziehung zwischen Autor*in und Leser*in/ Zuhörer*in entstehe und wir mit dem Drucken von Büchern unsere Umwelt zerstören. Vor dem Hintergrund , dass Le Guin den Roman in den 80er Jahren geschrieben hat, hat mich der Abschnitt auf S. 631 überrascht, in dem die Abholzung der Wälder für die Aufzeichnung der Wörter auf Papier, die Aufstauung der Flüsse, für die Stromgewinnung für Textverarbeitungsgeräte usf. kritisiert wird. Den Gedanken, dass das mit unserer Angst vor dem Tod, der Vergänglichkeit zu tun haben könnte, habe ich so noch nie gehabt. Mir fällt auch in dieser Etappe wieder auf, dass ich Kritik an unserer Lebensweise herauslese, die seit 1984 ja noch zerstörerischer geworden ist.
Ich wiederhole mich, es ist anstrengend für mich, dieses Buch zu lesen; doch empfinde ich es mittlerweile als Gewinn für mich, es kennen lernen zu dürfen.
Ja, bei der "Euthanasie"-Stelle bin ich auch ein wenig zusammengezuckt, ich glaube, den ganzen Abschnitt zur Medizin der Kesh werde ich bei Gelegenheit nochmal lesen, denn da steckt viel interessantes, aber auch kompliziertes drin, was ich nochmal genauer durchdenken muss.
Mir ging es sehr ähnlich wie Magda. Habe die letzten beiden Abschnitte erst diese Woche lesen können und mich im vierten auf meine thematischen Vorlieben konzentriert.
Sehr interessiert haben mich deshalb die Passagen zu den Tieren und besonders zu den Haustieren bzw. den Tischgenossen, Mittessern und häuslichen Gefährten. Tiere sind also Leute auf Augenhöhe, ohne dass sie „vermenschlicht“ werden. Meine absolute Lieblingsutopie!
Der Umgang mit Datensicherung, Archivierung und die Haltung gegenüber der Musikaufnahme, der Wiederholung und Vervielfältigung finde ich auch sehr spannend und einleuchtend.
Ach ja, ich habe mir vorgenommen das Rezept zu Líriv Metadí auszuprobieren.
Dann noch eine Frage, da ich nicht weiß, ob ich es übersehen oder überlesen habe. Aber sind bisher die Themen, Recht/Justiz, Kriminalität oder Strafe und Gefängnisse behandelt worden? Falls ja, freue ich mich über Hinweise, wo ich es nachlesen kann. Falls nicht, finde ich diesen Umstand bzw. das Ausbleiben sehr interessant.
Ich bin sehr gespannt, was du von deinem Kochversuch berichten kannst.
Beim Lesen ist es mir gar nicht so aufgefallen, aber es stimmt, es scheint keine Rechtsprechung/Justiz usw. bei den Kesh zu geben. In der Geschichte von Erzählstein wird aber einmal der Kontrast zwischen den Kondor und den Kesh thematisiert, da wundert sich Erzählstein an einer Stelle sehr darüber, dass die Kondor im Gegensatz zu den Kesh ihre großen, weitreichenden Entscheidungen nicht alle gemeinsam in großer Runde diskutieren, sondern dass diese von einem einzelnen Herrscher von oben herab verkündet werden.
Mir fällt noch der Teil über Teenager-Schwangerschaften ein, die gesellschaftlich geächtet werden, vor allem die jungen Männer. Ist auch eher eine kulturelle Norm als ein Gesetz,aber ob es überhaupt Gesetze gibt, bin ich nicht sicher.
Liebe Barbara, zu Recht/ Justiz und Strafe habe ich auch noch nichts gelesen, habe mir aber auch schon Gedanken gemacht. Konflikte werden wohl (soweit ich gelesen habe?) nicht über Rechtsprechung gelöst. Mir fällt z.B. der Streit zwischen Erzählsteins Eltern, in dem ihre Mutter in ihrem Heyima Schutz erhält. Oder die Geschichte mit den schlechten Stoffen - den Konflikt lösen die Kesh dann über Gespräche mit den Lieferanten.
Mir fällt noch die Geschichte mit dem Nachbarschaftsstreit ein, es ging um zwei ältere zerstrittene Frauen mit Familie in einem Haus und einzelne Familienmitglieder sind im Streit auch umgekommen. Das wurde ja vom Dorf mehr oder weniger geduldet und nicht weiter eingegriffen.
Ich bin mit dem aktuellen Leseabschnitt noch nicht ganz durch und ich habe den Teil auch etwas weniger aufmerksam gelesen.
Sehr gefreut habe ich mich über die Rezepte - eins hat mir auch wirklich gut gefallen, vielleicht lasse ich mich mal inspirieren!
Bei dem Kapitel über Krankheiten kam ich ins nachdenken: Le Guin schreibt, dass bei den Kesh Krankheit als etwas Aktives wahrgenommen wird, nicht als etwas, was Menschen passiv erleiden. Sie schreibt auch, dass diese Haltung trotzdem nicht zu Schuldgefühlen führt.
Ich habe versucht, das nachzuvollziehen. Krankheit wird ja tatsächlich nicht selten mit Schuld verknüpft, z.B. „Wieso ich, womit habe ich das verdient?“, und bestimmte Krankheiten sind ganz klar gesellschaftlich mit Schuld markiert (z.B. Geschlechtskrankheiten).
Über das Aktive Kranksein der Kesh sagt Le Guin: „denn durch diese Sicht wird anerkannt, dass wir nicht immer so handeln, wie wir gern handeln würden oder zu handeln hoffen oder handeln sollten, und dass das Leben nicht immer mühelos ist.“
Ich finde diesen Gedanken in vieler Hinsicht entlastend, vor allem weil er sich zB gegen nach wie vor gegenwärtige Allmachts- und Kontrollphantasien ausspricht (im Sinne von „Ich kann alles erreichen, wenn ich leiste. Und wenn ich es nicht erreicht habe, habe ich noch nicht genug geleistet.“)
Es beruhigte mich sehr, zu lesen, dass auch Du Magda in diesem hinteren Teil selektiv gelesen hast. Faszinierend finde ich den Aufwand , den die Autorin betrieben hat, um die Welt der Kesh und ihr Umfeld bis hin zu ethischen Werten verständlich zu machen. Und sogar ein Wörterbuch für deren Sprache hat sie entwickelt. Irre! Dieses habe ich wirklich nur punktuell angeschaut/gelesen. Mir fällt allerdings auf, welche wichtige Rolle die Sprache immer wieder spielt: Sei es die Bezeichnung der Häuser, die Namen der Menschen... (Penisweide(!!!), wo die jähzornigen Eselhengste gehalten wurden). Als Esel-Liebhaberin habe ich mich über die beschriebene wichtige Rolle meiner Lieblingstiere gefreut. Auch diese Etappe weckte bei mir Assoziationen an verschiedene Religionen und das Leben der Völker, die sehr naturverbunden leben.
Bisher plane ich nicht, ein Rezept nachzukochen. Allerdings erinnert mich das eine oder andere Gericht durchaus an heutige Gemüsegerichte, z.B. "Rot und Grün". Ein wenig geschüttelt habe ich mich bei dem Gedanken an Eichelmehl. Das klang für mich nicht verlockend. Bisher dachte ich, für uns Menschen seien Eicheln unbekömmlich.
Intensiv gelesen habe ich die sehr ausführliche Beschreibung der Tänze; die Gemeinschaft hat eine hohe Bedeutung, der wird viel Zeit gewidmet.
Amüsiert habe ich mich über das Kapitel über die Bahn. Ich war versucht, es der Deutschen Bahn zu schicken. Die Idee, Züge von Ochsen oder anderen Tieren ziehen zu lassen, könnte eine Maßnahme zur Überbrückung der Bahnprobleme sein....
Gehadert habe ich teilweise mit den Anmerkungen zu medizinischen Praktiken. Bei der Erwähnung der "Euthanasie" , dem Töten von schwer fehlgebildeten menschlichen und tierischen Neugeborenen standen mir die Nackenhaare zu Berge, weil ich an die verbrecherische Praxis der Nazi-Zeit denken musste. Andere Prinzipien der Medizin versöhnten mich wiederum mit dem Kapitel: Auf S.593 wird darauf eingegangen, dass für die Genesung die "Aufmerksamkeit", eine stressfreie Umgebung, Wärme, Ruhe notwendig seien und auf S. 597 beeindruckte mich der Ansatz, es ginge nicht um Ideale perfekter Gesundheit, ewiger Jugend und der Auslöschung von Krankheit. Das ist etwas , was meiner Meinung nach unsere klassische Schulmedizin manchmal aus dem Auge verliert. Berührt hat mich der Satz, es ginge darum, dass das Leben nicht härter sein sollte, als es sein muss.
Als absolute Bücherfreundin hat mich das Kapitel über "Gesprochene und geschriebene Literatur" zum Nachdenken gebracht. Hier lese ich einen Appell an die mündliche Überlieferung heraus, weil dabei eine Beziehung zwischen Autor*in und Leser*in/ Zuhörer*in entstehe und wir mit dem Drucken von Büchern unsere Umwelt zerstören. Vor dem Hintergrund , dass Le Guin den Roman in den 80er Jahren geschrieben hat, hat mich der Abschnitt auf S. 631 überrascht, in dem die Abholzung der Wälder für die Aufzeichnung der Wörter auf Papier, die Aufstauung der Flüsse, für die Stromgewinnung für Textverarbeitungsgeräte usf. kritisiert wird. Den Gedanken, dass das mit unserer Angst vor dem Tod, der Vergänglichkeit zu tun haben könnte, habe ich so noch nie gehabt. Mir fällt auch in dieser Etappe wieder auf, dass ich Kritik an unserer Lebensweise herauslese, die seit 1984 ja noch zerstörerischer geworden ist.
Ich wiederhole mich, es ist anstrengend für mich, dieses Buch zu lesen; doch empfinde ich es mittlerweile als Gewinn für mich, es kennen lernen zu dürfen.
Ja, bei der "Euthanasie"-Stelle bin ich auch ein wenig zusammengezuckt, ich glaube, den ganzen Abschnitt zur Medizin der Kesh werde ich bei Gelegenheit nochmal lesen, denn da steckt viel interessantes, aber auch kompliziertes drin, was ich nochmal genauer durchdenken muss.
Mir ging es sehr ähnlich wie Magda. Habe die letzten beiden Abschnitte erst diese Woche lesen können und mich im vierten auf meine thematischen Vorlieben konzentriert.
Sehr interessiert haben mich deshalb die Passagen zu den Tieren und besonders zu den Haustieren bzw. den Tischgenossen, Mittessern und häuslichen Gefährten. Tiere sind also Leute auf Augenhöhe, ohne dass sie „vermenschlicht“ werden. Meine absolute Lieblingsutopie!
Der Umgang mit Datensicherung, Archivierung und die Haltung gegenüber der Musikaufnahme, der Wiederholung und Vervielfältigung finde ich auch sehr spannend und einleuchtend.
Ach ja, ich habe mir vorgenommen das Rezept zu Líriv Metadí auszuprobieren.
Dann noch eine Frage, da ich nicht weiß, ob ich es übersehen oder überlesen habe. Aber sind bisher die Themen, Recht/Justiz, Kriminalität oder Strafe und Gefängnisse behandelt worden? Falls ja, freue ich mich über Hinweise, wo ich es nachlesen kann. Falls nicht, finde ich diesen Umstand bzw. das Ausbleiben sehr interessant.
Ich bin sehr gespannt, was du von deinem Kochversuch berichten kannst.
Beim Lesen ist es mir gar nicht so aufgefallen, aber es stimmt, es scheint keine Rechtsprechung/Justiz usw. bei den Kesh zu geben. In der Geschichte von Erzählstein wird aber einmal der Kontrast zwischen den Kondor und den Kesh thematisiert, da wundert sich Erzählstein an einer Stelle sehr darüber, dass die Kondor im Gegensatz zu den Kesh ihre großen, weitreichenden Entscheidungen nicht alle gemeinsam in großer Runde diskutieren, sondern dass diese von einem einzelnen Herrscher von oben herab verkündet werden.
Mir fällt noch der Teil über Teenager-Schwangerschaften ein, die gesellschaftlich geächtet werden, vor allem die jungen Männer. Ist auch eher eine kulturelle Norm als ein Gesetz,aber ob es überhaupt Gesetze gibt, bin ich nicht sicher.
Liebe Barbara, zu Recht/ Justiz und Strafe habe ich auch noch nichts gelesen, habe mir aber auch schon Gedanken gemacht. Konflikte werden wohl (soweit ich gelesen habe?) nicht über Rechtsprechung gelöst. Mir fällt z.B. der Streit zwischen Erzählsteins Eltern, in dem ihre Mutter in ihrem Heyima Schutz erhält. Oder die Geschichte mit den schlechten Stoffen - den Konflikt lösen die Kesh dann über Gespräche mit den Lieferanten.
Mir fällt noch die Geschichte mit dem Nachbarschaftsstreit ein, es ging um zwei ältere zerstrittene Frauen mit Familie in einem Haus und einzelne Familienmitglieder sind im Streit auch umgekommen. Das wurde ja vom Dorf mehr oder weniger geduldet und nicht weiter eingegriffen.
Ich bin mit dem aktuellen Leseabschnitt noch nicht ganz durch und ich habe den Teil auch etwas weniger aufmerksam gelesen.
Sehr gefreut habe ich mich über die Rezepte - eins hat mir auch wirklich gut gefallen, vielleicht lasse ich mich mal inspirieren!
Bei dem Kapitel über Krankheiten kam ich ins nachdenken: Le Guin schreibt, dass bei den Kesh Krankheit als etwas Aktives wahrgenommen wird, nicht als etwas, was Menschen passiv erleiden. Sie schreibt auch, dass diese Haltung trotzdem nicht zu Schuldgefühlen führt.
Ich habe versucht, das nachzuvollziehen. Krankheit wird ja tatsächlich nicht selten mit Schuld verknüpft, z.B. „Wieso ich, womit habe ich das verdient?“, und bestimmte Krankheiten sind ganz klar gesellschaftlich mit Schuld markiert (z.B. Geschlechtskrankheiten).
Über das Aktive Kranksein der Kesh sagt Le Guin: „denn durch diese Sicht wird anerkannt, dass wir nicht immer so handeln, wie wir gern handeln würden oder zu handeln hoffen oder handeln sollten, und dass das Leben nicht immer mühelos ist.“
Ich finde diesen Gedanken in vieler Hinsicht entlastend, vor allem weil er sich zB gegen nach wie vor gegenwärtige Allmachts- und Kontrollphantasien ausspricht (im Sinne von „Ich kann alles erreichen, wenn ich leiste. Und wenn ich es nicht erreicht habe, habe ich noch nicht genug geleistet.“)