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Ihr Lieben,
in typischer Schneeballsystem-Manier habe ich letzten Monat erst spontan zu einem jahrzehntealten Krimi gegriffen, den ich mir vor ein paar Wochen antiquarisch gekauft hatte, und diese Lektüre brachte mich auf zwei weitere Vintage-Krimis, die mich wiederum an ein paar andere Bücher erinnerten, die ich in der Vergangenheit schon gelesen hatte, und prompt war wieder ein ausführlicheres Newsletterthema geboren.
Aber bevor wir uns in das Thema dieser Ausgabe stürzen, noch ein kleiner Nachtrag zur letzten Ausgabe dieses Newsletters: Darin habe ich Gentleman Overboard von Herbert Clyde Lewis vorgestellt und deutsche Verlage dazu aufgerufen, sich diesen wirklich sehr tollen Roman mal genauer anzuschauen. Noch am selben Tag erreichte mich die freudige Nachricht, dass der Mare Verlag bereits seit geraumer Zeit eine deutsche Übersetzung des Buches in Planung bzw. schon längst in Arbeit hat, die voraussichtlich diesen Herbst erscheinen soll. Ihr anderen Verlage könnt euch also getrost auf die vielen anderen Bücher aus meinem Newsletter konzentrieren, bei denen ich schon zu einer Wiederauflage/Übersetzung aufgerufen habe! (Und falls ihr tatsächlich durch meine Arbeit mal auf neue Titel für eure Programme stoßt, freue ich mich übrigens auch immer über eine entsprechende Rückmeldung.)
Jetzt aber genug der Vorrede, los geht’s mit den Krimis!
Wie inzwischen bekannt sein dürfte, bin ich kein großer Fan von Krimis (oder behaupte es zumidnest immer), die einzigen, die ich hin und wieder ganz gerne lese, sind eigentlich klassische Golden Age-Whodunnits. Ich habe in der Vergangenheit ziemlich viele Agatha Christies, eine Handvoll Dorothy L. Sayers’ und den einen oder anderen Krimi von Autorinnen wie Ngaio Marsh, Margery Allingham oder neuerdings Josephine Tey gelesen, bin mit diesem Genre also so mittelgut vertraut. Ein Vorteil davon, dass diese Golden Age Mysteries meistens ziemlich genau definierten Regeln und Konventionen folgen und von oft sehr exzentrischen Ermittler*innen handeln, liegt darin, dass sie sich dadurch auch besonders gut parodieren lassen.
Neulich bin ich im Antiquariat über eine solche Whodunnit-Parodie, nämlich Marion Mainwarings Murder in Pastiche: or Nine Detectives All at Sea (1954, dt. Neun auf einer Fährte, Ü: Erica Schneider, vergriffen), gestolpert und mir war spätestens bei der Author’s Note klar, dass ich das Buch unbedingt mitnehmen muss, denn daraus geht hervor, dass Mainwaring in ihrem Roman nicht etwa nur ein oder zwei berühmte Detektivromanreihen, sondern vielmehr die Werke von gleich neun (!) Koryphäen des Genres auf einmal aufs Korn nimmt:
In grateful appreciation of the nine masters of detective fiction without whom Murder in Pastiche would have been impossible,
MISS AGATHA CHRISTIE, MR ERLE STANLEY GARDNER, MR MICHAEL INNES, MISS NGAIO MARCH, MR ELLERY QUEEN, MISS DOROTHY SAYERS, MR MICKEY SPILLANE, MR REX STOUT, AND MISS PATRICIA WENTWORTH
and in hopes that this reader’s trespass may be forgiven by them and by the millions of their other readers.
Mainwaring war vor allem dafür bekannt, Edith Whartons unvollendeten Roman The Buccaneers zuende geschrieben zu haben (ihre Version erschien 1993), doch schon Jahrzehnte vorher bewies sie ihr Talent, den Stil anderer Autor*innen zu imitieren.
Murder in Pastiche spielt auf der R.M.S. Florabunda, einem Passagierschiff, das von Liverpool aus nach New York aufbricht und dessen Passagierliste den Ersten Ofizier Mr. Waggish in helle Aufregung versetzt: wie es der Zufall so will, sind nämlich ein Mr. Trajan Beare, ein Mr. Spike Bludgeon, ein Mr. Mallory King, ein Sir Jon. Nappleby, ein Mr. Jerry Pason, ein Monsieur Atlas Poireau, ein Lord Simon Quinsey, eine Miss Fan Sliver und ein Mr. Broderick Tourneur mit an Bord — bei allen neun handelt es sich um berühmte Ermittler*innen, die von geübten Leser*innen von Golden Age Detective Fiction (oder durch eine kursorische Lektüre der Wikipediaeinträge zu den weiter oben genannten neun Krimiautor*innen) schnell ihren literarischen Vorbildern zugeordnet werden können. Die Detektiv*innen stehen also bereit, fehlt nur noch eine Leiche.
But the crossing was no routine matter for the passengers. The presence of nine detectives could not fail to be sensational. […] Nine famous detectives were too many to take calmly. And some wit declared that, under the circumstances, if a murder did not exist one would have to be invented.
Nevertheless, while life in general imitates art, in any given case the ideal schemes of the imagination are not usually viable. And so, with a single exception, everyone aboard the Florabunda was startled to hear, just after the second breakfast of the trip, that the gossip columnist Paul Price had been found dead — murdered — his head bashed in.
Wir haben also einen Mordfall, eine Leiche, neun erfahrene Ermittler*innen und einen "closed circle of suspects", immerhin befinden wir uns auf hoher See und deshalb kommen als Täter*innen nur die Passagier*innen und Besatzungsmitglieder des Schiffs in Frage. Jeder erfolgreiche Detektiv braucht an seiner Seite außerdem eine Watson-Figur, die ein wenig begriffsstutziger ist als der*die duchschnittliche Leser*in, damit unser*e Ermittler*in jemanden hat, dem er*sie seine*ihre Entdeckungen und Theorien ausführlich erläutern kann. In Murder in Pastiche übernimmt der krimibegeisterte Erste Offizier der Florabunda, Mr. Waggish, diese Rolle. Für den Rest des Buches erhält nun jede*r der neun Detektivfiguren ein eigenes Kapitel, in dem er*sie die Ermittlungen jeweils auf ihre ganz persönliche Art und Weise ein Stück weiter vorantreiben. Mr. Waggish hört dabei immer aufmerksam zu, um die Ergebnisse dann jeweils an die restlichen Detektiv*innen weiterzugeben, damit alle auf dem gleichen Wissensstand sind. Dabei bekommt er viel Gelegenheit, die teilweise wirklich sehr unterschiedlichen Methoden der einzelnen Spürnasen zu beobachten:
"And how did you discover what he was up to?" Mr Waggish seemed to remember something: "Did you use logic, and simply put misplaced details into place in the proper system?"
"It was rather a matter of pursuing certain themes from Wordsworth and Gray."
The First Officer was wistful. "It must be hard to be a detective unless one reads a great deal of poetry?"
[…]
Mr Waggish asked eagerly: "Have you solved the murder, Mr Pason? Is that why you asked for this meeting?"
"Not yet," Jerry Pason told him. "But I've found out a lot about my client. Enough to clear him!"
"Did you use poetry to find out?" the First Officer asked.
"Poetry? Hell," said the lawyer. "None of my cases have anything to do with literature!"
Viel unterhaltsamer als der Mordfall selbst und die unterschiedlichen Methoden der einzelnen Detektiv*innen sind bei diesem Buch allerdings die verschiedenen Schreibstile der literarischen Vorbilder, die Marion Mainwaring in den unterschiedlichen Kapiteln jeweils nahezu perfekt imitiert und liebevoll parodiert (in einigen Fällen, bspw. bei Spike Bludgeon AKA Mickey Spillanes Mike Hammer, schießt sie dabei fast ein wenig über das Ziel hinaus). Beim Kapitel über Monsieur Atlas Poireau beispielsweise habe ich fast vergessen, dass ich hier gerade nicht dem "echten" Hercule Poirot beim Ermitteln zuschaue. Ich selber kannte aus eigener Leseerfahrung nur drei der neun Vorbilder für die "Nine Detectives at Sea" und hätte sicher noch mehr Spaß an dieser Parodie gehabt, wenn es mehr gewesen wären, aber auch so hat mir Murder in Pastiche ziemlich viel Vergnügen bereitet.
Als ich nach meiner Lektüre ein bisschen zu Mainwarings Buch recherchierte, bin ich dann schnell auf einen weiteren Vintage-Krimi gestoßen, der ähnlich funktioniert, nämlich Case for Three Detectives (1936, dt. Die Drei und der eine, Ü: Paul Baudisch bzw. Ein Fall für drei Detective, Ü: R. Lohmer-Remmers, beide Ausgaben leider vergriffen) von Leo Bruce.
Leo Bruce war ein Pseudonym des unglaublich produktiven englischen Schriftstellers Rupert Croft-Cooke, der neben unzähligen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln auch mehr als 125 Bücher veröffentlichte. Sofern er heutzutage überhaupt noch gelesen wird, dann wegen seiner zwei unter dem Namen Leo Bruce verfassten Krimireihen — Case for Three Detectives, das ich nun gelesen habe, ist der erste Band aus der Reihe um den chronisch unterschätzten Ermittler Sergeant Beef und ist auf den ersten Blick ein typisches Country House Locked Room Mystery… es wird aber beim Lesen schnell klar, dass sich der Autor einen ziemlichen Spaß mit diesem beliebten Genre erlaubt.
Der Roman beginnt an einem Abend im Haus von Dr. und Mrs. Thurston, einem gastfreundlichen Ehepaar mittleren Alters, die gerne interessante junge Männer um sich scharen. Einer dieser jungen Männer trägt den Namen Townsend und übernimmt nicht nur die Rolle des Erzählers, sondern im Laufe des Romans auch die der Watson-Figur, an der die drei titelgebenden Detektive ihre unterschiedlichen Theorien durchexerzieren. Aber ich greife vor.
Zunächst einmal gibt es noch gar keinen Anlass, der die Anwesenheit von Detektiven erfordert, sondern erstmal nur ein Gespräch zwischen den Hausgästen über den Wert und Wahrheitsgehalt von Kriminalliteratur:
"It's all so artificial," he said. "So unrelated to life. You, all of you, know these literary Murders. Suddenly, in the middle of a party—like this one, perhaps—someone is found dead in the adjoining room. By the trickery of the novelist all the guests and half the staff are suspect. Then down comes the wonderful detective, who neatly proves that it was in fact the only person you never suspected at all. Curtain."
Doch aus der Theorie wird bald ernst, denn während Dr. Thurston und zwei seiner Gäste (darunter der Erzähler Townsend — der Rest ist schon zu Bett oder nach Hause gegangen) noch gemütlich bei einem Glass Brandy am Kamin sitzen und plaudern, ertönen plötzlich gellende Schreie aus dem Schlafzimmer von Mrs. Thurston, alle stürmen sofort die Treppe hoch und sind erschüttert, als sie die Schlafzimmertür von innen verriegelt vorfinden. Als sie die Tür endlich eingetreten haben, folgt dann der Schock: Mrs. Thurston liegt mit durchgeschnittener Kehle im Bett, das Zimmer ist leer, und wie der*die Täter*in daraus entkommen sein soll, bleibt ein Rätsel. Dem eilig herbeigerufenen, aber als etwas einfältig abgestempelten Dorfpolizisten Sergeant Beef trauen weder seine Vorgesetzten vom Scotland Yard noch Mrs. Thurstons Hinterbliebene die Lösung des mysteriösen Mordfalls zu, aber zum Glück lässt Hilfe nicht lange auf sich warten:
Quite early the next morning those indefatigably brilliant private investigators who seem to be always handy when a murder has been committed, began to arrive. I had some knowledge of their habits, and guessed at once what had happened to bring them here. One had probably been staying in the district, another was a friend of Dr. Tate's, while a third, perhaps, had already been asked to stay with the Thurstons. At any rate, it was not long before the house seemed to be alive with them, crawling about on floors, applying lenses to the paint-work, and asking the servants the most unexpected questions.
In der Tat tauchen gleich drei berühmt-berüchtigte Detektive auf einmal am Tatort auf, und wie schon bei Murder in Pastiche sind auch hier die literarischen Vorbilder unschwer zu erkennen:
The first on the scene was Lord Simon Plimsoll. He stepped out of the foremost of three Rolls-Royces, the second of which contained his man-servant, whose name I afterwards learnt was Butterfield, and the third, a quantity of photographic apparatus. […] I had heard of him first some ten years ago, and was surprised to find ow that he appeared no older. But perhaps among other secrets he had discovered that of changeless youth.
Der Rolls-Royce- und Inkunabeln-liebende Lord Simon und sein kompetenter Diener erinnern doch stark an einen gewissen Lord Peter Wimsey und seinen treuen Bunter. Und auch Plimsolls als nächstes eintreffender Kollege weist eine große Ähnlichkeit mit einem gewissen belgischen Meisterdetektiv auf:
As the three Rolls-Royces were disappearing down the drive, I became aware of a very curious little man, who was on all fours beside the flower-bed in which I had discovered the knife during the previous evening. His physique was frail, and topped by a large egg-shaped head, a head so much and so often egg-shaped that I was surprised to find a nose and mouth in it at all, but half expected its white surface to break and release a chick. I recognized him at once and approached.
"M. Amer Picon, I think?"
"Yes, mon ami. The great Amer Picon, he amplified, glancing up for a moment from his operations.
Und wer schonmal einen von Chestertons Father-Brown-Krimis gelesen hat, dem wird auch der dritte Detektiv im Bunde, Monsignor Smith, schnell bekannt vorkommen.
Zwar versichert Sergeant Beef, der die routinemäßigen Polizeiaufgaben schnell erledigt hat, den versammelten Detektiven und Hausgästen immer wieder, die Lage im Griff zu haben, aber wer glaubt schon wirklich, dass so ein zweitklassiger Dorfpolizist imstande wäre, so einen rätselhaften Mordfall wie den von Mrs. Thurston ganz alleine zu lösen? Folglich machen sich alle drei externen Ermittler, jeder auf seine idiosynkratische Art, an die Arbeit, immer in Begleitung von unserem wackeren Watson, Mr. Townsend:
My knowledge of these situations, gathered from some study of them, taught me that we were all behaving according to the very best precedents, but I could not help feeling that a man who had just lost his wife might not see it that way. I had learnt that after a murder it is quite proper and conventional for everyone in the house to join the investigators in this entertaining game of hide-and-seek which seemed wholly to absorb us. It was not extraordinary for there to be three total strangers questioning the servants, or for the police to be treated with smiling patronage, or for the corpse to be pulled about by anyone who was curious to know how it had become a corpse. But when I thought of the man to whom the tragedy would be something more than an entrancing problem for talented investigators, I really wondered how these queer customs had arisen.
Nach zahlreichen spektakulären Entdeckungen und Zeugenbefragungen, die eine große Bandbreite von Geheimnissen — von Erbschaftsstreitereien und Erpressung über falschen Namen und überzogene Konten bis hin zu kriminellen und psychotischen Vergangenheiten — zutage fördern, sind alle drei Detektive bereit für den großen Moment am Ende jedes Golden-Age-Krimis, an dem sie einem verblüfften Publikum ihre aberwitzige und doch jedes Detail zweifelsfrei erklärende Theorie darlegen. Es gibt nur ein Problem: alle drei Detektive sind nach ihren Ermittlungen zu komplett unterschiedlichen Schlüssen gekommen, alle drei Szenarios klingen für sich genommen plausibel, aber sie deuten alle drei jeweils auf einen unterschiedlichen Mörder hin und nun ist unklar, wen Sergeant Beef verhaften soll:
"I hope," he said quietly, "that you have finished your deliberations. You haven't yet made your arrest, Sergeant?"
"Not yet, sir."
"The truth is, Thurston," said Sam Williams, "that there is a little difference of opinion among these gentlemen."
Thurston looked puzzled. He evidently found this hard to understand or credit. "But... but haven't you discovered who is guilty?" he asked wearily.
"Yes, Well, that is . . . " Williams was in an uncomfortable predicament. At last he turned to Sergeant Beef. "Look here, Sergeant, you, after all, represent the police, and it is your duty to make an arrest. You have heard all these gentlemen. What do you think about it?"
Sergeant Beef looked from one to the other of the three investigators with evident appreciation. "Wot do I think about it? I think wot these gentlemen 'ave told us is remarkable. Remarkable! I shouldn't never 'ave believed it possible that anyone could 'ave been so ingeenyus. And the details they thought of! It was wonderful, sir, and a treat to 'ear them. I shan't never forget to-day. It will be something to tell my grandchildren. To think that I've been privileged to 'ear all that!" His eyes, usually a trifle glazed, glowed now with honest admiration.
"That's scarcely the point," said Williams coldly. "What we have to do is to decide who is guilty, and arrest him."
"Oh yes," admitted Sergeant Beef, "I was forgetting that. I know 'oo done it, of course. But that ain't nothink — not finding out 'oo done it isn't. Why, I could never 'ave made up them stories if you'd paid me, sir. Wonderful, they was."
"Well, Sergeant, you've been saying for a long time that you know who was guilty. Suppose you tell us your theory?"
"I 'aven't got no theory, sir. I wouldn't presume to 'ave, not in front of these gentlemen. I couldn't express myself like that, wotever you was to give me."
"You have no theory? But I thought you said you knew who had done it?"
"So I do. But that's nothink, sir. Not after 'earing wot I 'ave to-night."
Aber da Case for Three Detectives, wie eingangs erwähnt, ja der erste Band der Sergeant-Beef-Reihe und nicht der "Lord-Plimsoll-Amer-Picon-und-Monsignor-Smith-Reihe" ist, klärt dieser den Fall natürlich trotzdem auf und behält damit das letzte Wort:
"See? I told you it was simple. ‘Ardly worth telling. But you seemed to want to know how it was done."
Der dritte Vintage-Krimi, den ich in den letzten Wochen gelesen habe, ist zwar keine direkte Parodie bestimmter literarischer Detektive im Sinne der beide gerade beschriebenen Bücher, aber auch E. C. R. Loracs The Names Make Clues (1937, leider nicht übersetzt) ist ein metafiktionales Spiel mit den Genrekonventionen, denn in diesem Rätselkrimi werden mehrere (fiktive) Krimiautor*innen in einen Mordfall verwickelt und sidn darüber wenig begeistert:
"It's almost pathetic—I've always enjoyed what I call my nice quiet little Murders so much—the ones I write about, you know—and yet the thought of appearing as a witness in a real criminal case fills me with horror."
Chief Inspector Macdonald wird auf eine ganz besondere Party eingeladen, die der erfolgreiche Verleger Graham Coombe zusammen mit seiner Schwester veranstaltet. Mehrere der von ihm verlegten Autor*innen — darunter sowohl einige Krimischreiber*innen als auch Autor*innen von Reise-, Geschichts- und Wirtschaftsbüchern sowie Liebesromanen, die alle die Öffentlichkeit scheuen und einander noch nie begegnet sind — sollen unter Verwendung von literarischen Pseudonymen an einer Art Schnitzeljagd teilnehmen und so ihre Talent unter Beweis stellen. Doch die Party nimmt ein jähes Ende, als einer der Partygäste, ein gewisser "Samuel Pepys" nach einem kurzzeitigen Stromausfall tot im Telefonzimmer aufgefunden wird. Inspector Macdonald muss also statt auf Schatzsuche nun auf Mörder*innensuche gehen…
E.C.R. Loracs Roman ist, im Gegensatz zu denen von Mainwaring und Bruce, weniger eine Parodie des Krimigenres selbst, sondern vielmehr eine Parodie des Krimibuchmarkts und seiner Dynamiken, und auch wenn ich mir von der Auflösung des Falls ein wenig mehr erhofft hatte, hat mir dieser anagramm- und rätsellastige Krimi trotzdem ziemlichen Spaß gemacht!
Er hat mich außerdem an einen der Poirot-Romane von "Queen of Crime" Agatha Christie erinnert, den ich vor einigen Jahren mal gelesen habe.
In Cards on the Table (dt. Mit offenen Karten, Ü: Michael Mundhenk) werden nämlich die vier begabten Ermittler*innen Hercule Poirot, Colonel Race, Superintendent Battle und Ariadne Oliver — selbst eine Krimiautorin — von einem geheimnisvollen Mr. Shaitana zusammen mit vier anderen Gästen zu einem Bridge-Abend eingeladen. Am Ende des Abends wird der Gastgeber tot in einem Sessel aufgefunden und die vier Detektiv*innen müssen herausfinden, wer von ihren Bridge-Gegner*innen ihn ermordet hat…
Apropos Bridge übrigens:
Bevor ich euch zurück in euren Alltag entlasse, möchte ich noch einen letzten, ganz besonderen metafiktionalen Krimi erwähnen, den ich vor einigen Jahren gelesen habe und in dem ebenfalls verschiedenste bekannte literarische Detektiv*innen vorkommen: In Die Wahrheit über den Fall D. (Ü: Burkhart Kroeber, nur noch als eBook) des italiensichen Autorenduos Fruttero & Lucentini bekommt man es eigentlich mit zwei Büchern in einem zu tun.
Der "Fall D." bezieht sich nämlich auf The Mystery of Edwin Drood, den letzten, aufgrund seines Todes leider unvollendet gebliebenen Roman von Charles Dickens, an dem sich im Laufe der Literaturgeschichte schon viele die Zähne ausgebissen haben. Alles deutet darauf hin, dass die als Fortsetzungsroman erschienene Geschichte ein Krimi hätte werden sollen, auch wenn in den existierenden sechs (von zwölf geplanten) Teilen noch keine Leiche aufgetaucht ist — der titelgebende Edwin Drood verschwindet aber im Laufe der Geschichte spurlos und im Text finden sich Indizien dafür, dass er ermordet worden ist. Das Buch von Fruttero & Lucentini vereint nun also zwei unterschiedliche Texte: zwischen den einzelnen Kapiteln des Originaltexts von Dickens unvollendetem Roman sind immer wieder Passagen eigneschoben, die auf einem internationalen Detektivkongress spielen. Auf diesem haben sich einige der berühmtesten Detektiv*innen der Literaturgeschichte, darunter natürlich auch Koryphäen wie Hercule Poirot, Father Brown, Sherlock Holmes und viele mehr, versammelt, um gemeinsam das Geheimnis um das Verschwinden von Edwin Drood zu lüften. Das Ergebnis finde ich sehr überzeugend!
Das war’s also für heute. Über Feedback, Wünsche, Vorschläge und Anregungen jeder Art freue ich mich immer.
Den nächsten Newsletter werde ich wieder an einem Mittwoch verschicken, vermutlich in zwei Wochen, vielleicht auch schon nächste oder erst in drei. Bis dahin findet ihr mich wie immer mit buchnahem Content auf Twitter.
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Bis zum nächsten Mal, frohes Lesen,
eure Magda