Von geheimnisvollen Fossilien, der Tochter eines Ölbarons und einem unnötigen Spoiler
Außerdem stelle ich euch ein paar Bücher von indigenen kanadischen Autor*innen vor.
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Ihr Lieben,
letzte Woche fehlte mir aus verschiedenen Gründen die Energie für eine neue Ausgabe dieses Newsletters, aber heute bin ich wieder in alter Frische für Euch da und habe entsprechend viele Buchempfehlungen im Gepäck. Also los!
Vor einiger Zeit hat mich eine Interaktion auf Twitter daran erinnert, dass ich Susanne Röckels Schauerroman Der Vogelgott vor drei Jahren ziemlich begeistert gelesen und mir direkt im Anschluss daran damals gleich noch ein paar ihrer (leider inzwischen vergriffenen) Backlisttitel besorgt und diese seither ungelesen im Regal stehen hatte. Weil vorletztes Wochenende noch dazu Halloween war und ich mir von Röckel wieder einen angenehmen Grusel erwartete, habe ich also ihren 2011 bei Eichborn erschienenen Roman Rotula hervorgekramt und gelesen und kann das Leseerlebnis trotz kleinerer Schwächen insgesamt als Erfolg verbuchen. Die Rahmenhandlung des Romans spielt zu Beginn des 22. Jahrhundert, als der Protagonist Lanzelot Squindo (ja, so heißt er wirklich!) zusammen mit einigen Kolleg*innen als Teil einer "Erschließungskommission" auf eine Forschungsreise geschickt wird, um das Gebiet einer Stadt zu erkunden, die bei einer zunächst nicht näher definierten Katastrophe um das Jahr 2014 "ihre Seele verlor". Vor Ort findet Squindo im verborgenen städtischen Archiv verschiedene Dokumente, die gemeinsam ein faszinierendes und gleichzeitig erschütterndes Bild der Gegend und ihrer Geschichte zeichnen: da sind zum einen die Tagebücher der lokal berüchtigten Prinzessin Luise, die während der napoleonischen Kriege der Jahre 1813 und 1814 auf dem Schloss ihres Onkels ausharrte und sich ihre Zeit mit "dilettantischen Forschungen auf dem Gebiet der Fossilienkunde" vertrieb, bevor sie eines Tages unter geheimnisvollen Umständen spurlos verschwand. Daneben stößt Squindo außerdem auf mehrere Zeitungsausschnitte aus dem Jahr 1914 sowie das Protokoll einer politischen Rede aus dem Jahr 2014. Alle drei Dokumente gemeinsam deuten darauf hin, dass der nahegelegene Fluß seit jeher ein außergewöhnliches und bedrohliches Lebewesen beherbergt, dessen Existenz für viele bisher unerklärlichen Ereignisse aus den letzten Jahrhunderten verantwortlich sein könnte…
Das Konzept eines aus unterschiedlichen "historischen" Dokumenten bestehenden Romans hat mich sehr angesprochen und den Tagebuchteil aus der Sicht von Prinzessin Luise fand ich dabei mit Abstand am gelungensten (teilweise erinnerte sie mich stark an die ebenfalls als Laiengeologin tätige Annette von Droste-Hülshoff im Roman von Karen Duve), die Rahmenhandlung im 22. Jahrhundert dagegen hätte für mich ein wenig genauer ausgearbeitet sein können. Trotzdem war es ein ziemlich spannendes und unterhaltsames Buch mit genau der richtigen Menge an unerklärter "weirdness", die in meinen Augen nicht immer unbedingt komplett ausbuchstabiert werden muss, um richtig zu wirken.
Ich habe in den letzten Jahren mehrere Autorinnen für mich neu entdeckt, deren Texte mich jeweils so umgehauen haben, dass ich von da an alle Bücher von ihnen Lese, die ich in die Finger kriege, no questions asked. Eine dieser Autorinnen ist Anita Brookner, die sich in einem Interview einmal selbst als eine der einsamsten Frauen in London bezeichnet hat. Wenig verwunderlich also, dass Einsamkeit, soziale Isolation und die stille Verzweiflung vom Leben enttäuschter Frauen zu den zentralen Themen ihrer ab den 80er Jahren entstandenen Romane zählen. Mein Einstieg in Brookners Werk war Hotel du Lac, der Roman, für den sie 1984 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, danach las ich ihren Debütroman A Start in Life von 1981. Mein bisheriger Brooknerfavorit ist eindeutig Look At Me (1983), das 2020 zu meinen absoluten Jahreshighlights gehörte. Im Eisele Verlag werden erfreulicherweise seit einiger Zeit Brookners Romane in deutscher Übersetzung neuaufgelegt, nach Ein Start ins Leben (Ü: Wibke Kuhn) und Hotel du Lac (Ü: Dora Winkler) ist dort diesen Monat nun Eine Mesalliance (The Misalliance, Ü: Herbert Schlüter) erschienen.
Auch in diesem Roman erzählt Anita Brookner wieder mit großem psychologischen Gespür und subtilem Humor von einer finanziell unabhängigen, gebildeten Frau aus der Mittelschicht und deren Unfähigkeit, echte Verbindungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen: Blanche Vernon, nach zwanzigjähriger Ehe von ihrem Ehemann für eine jüngere Frau verlassen und von ihrem Umfeld als exzentrisch und anstrengend empfunden, vertreibt sich ihre quälend langen, einsamen Tage mit übermäßigem Weinkonsum, regelmäßigen Museumsbesuchen und ehrenamtlicher Arbeit im Krankenhaus. Als sie dort eines Tages auf ein schweigsames kleines Mädchen und deren lebhafte junge Stiefmutter trifft, ist sie sofort fasziniert von dem ungewöhnlichen Gespann. Doch je mehr sie in deren chaotisches Leben eintaucht, desto unklarer wird, wer hier eigentlich wen ausnutzt...
Besonders faszinierend an Brookners Romanen finde ich dieses diffuse Gefühl der Zeitlosigkeit (oder vielleicht besser "Aus-der-Zeit-gefallen-heit"), das ihnen anhaftet. Obwohl die Handlung durch einzelne Details durchaus fest in der Zeit ihrer Entstehung (ab den frühen 80er Jahren) verankert ist — Blanches "Konkurrentin" um die Gunst ihres Ehemannes arbeitet beispielsweise als Computerexpertin —, fühlt es sich eher so an, als würden die Romane in einer frheren, vergangenen Epoche spielen, ohne dass man den Finger so genau darauf legen könnte, in welcher.
Kürzlich ist mir lesetechnisch ein sehr ärgerliches Missgeschick passiert, für das ich ganz allein den betroffenen Verlag verantwortlich mache. Jemand, dessen literarischem Geschmack ich sehr vertraue, hatte mir ein paar abfotografierte Seiten einiger Romanszenen geschickt, in denen ein junger Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Wien irrt und aus irgendeinem Grund seine Hände nicht benutzen kann, wenn andere Menschen anwesend sind, und dadurch in allerlei absurde und (für die Leserin mehr als für die Figur) unglaublich lustige Situationen gerät. Mehr Ansporn brauchte ich gar nicht, um meinen frisch ausgestellten Bibliotheksausweis (dessen Beantragung übrigens eine direkte Trotzreaktion meinerseits auf eine gewisse fragwürdige, von zahlreichen namhaften Autor*innen unterstützte öffentliche Kampagne darstellte) zu zücken und erstmals die Onleihe des Berliner Bibliotheksverbunds zu bemühen. Ich lud also das eBook des Romans auf meinen Tolino, schaltete das Gerät ein und freute mich darauf, herauszufinden, was es mit den unbenutzbaren Händen von Stanislaus Demba auf sich hatte. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass dieses Rätsel schon auf der ersten Seite des eBooks für mich gelöst werden würde. Der Zsolnay-Verlag hatte nämlich aus irgendeinem mir völlig unverständlichen Grund die glorreiche Idee, nicht nur den Klappentext der Printausgabe an den Anfang des eBooks zu setzen, sondern dieser Klappentext ist auch noch so absolut bescheuert formuliert, dass er den zentralen "Twist" des Romans, der innerhalb der Handlung eigentlich erst ziemlich genau in der Mitte des Buches aufgeklärt wird, direkt im ersten Satz verrät. Vielen Dank auch! Auch wenn mich dieser völlig unnötige Spoiler* sehr geärgert hat, fand ich den Roman trotzdem insgesamt so unterhaltsam, dass ich für ihn mal wieder bereitwillig meine “eigentlich keine Bücher von weißen cis Männern außer Till Raether”-Regel gebrochen habe. Ich kann ihn euch sehr empfehlen, aber um euch ähnlichen Ärger zu ersparen, verlinke ich hier ausnahmsweise mal nicht auf die Verlagsseite, sondern belasse es bei dem Tipp, euch möglichst wenig über den Inhalt zu informieren, bevor ihr Zwischen neun und neun von Leo Perutz lest!
(*Grundsätzlich habe ich überhaupt nichts gegen Spoiler bspw. in ausführlichen Rezensionen etc., oder gegen Menschen, die generell gerne vorher wissen möchten, was genau in einer Geschichte passiert, bevor sie sich darauf einlassen. Aber es wäre doch schön, wenn diejenigen, die sich lieber beim Lesen überraschen lassen wollen, nicht gleich beim ersten In-die-Hand-Nehmen eines Buches gegen ihren Willen damit konfrontiert würden.)
Kürzlich habe ich eine tolle autobiografische "Wiederentdeckung" gelesen, die ein Aufwachsen im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, Luxus und Bolschewismus schildert, nämlich Days in the Caucasus (Ü: Anne Thompson-Ahmadova), dem ersten Teil der Memoiren der 1905 unter dem bürgerlichen Namen Umm-El-Banine Assadoulaeff in Baku geborene Schriftstellerin Banine, die erstmals 1946 auf Französisch erschienen. Banine, Tochter eines der reichsten Ölbarone Aserbaidschans, hat ihre Kindheit in Luxus und Wohlstand verbracht, in einer Gesellschaft, die sich auf der Schwelle zwischen alten islamischen Traditionen und dem Aufkommen einer freizügigeren, russisch-europäisch geprägten Kultur befindet, die vor allem den Frauen größere Freiheiten eröffnet. Banine muss sich nicht nur zwischen der Autorität der konservativen, russlandfeindlichen Großmutter und ihrer Schwärmerei für die junge, glamouröse, westlich sozialisierte Stiefmutter zurechtfinden, sondern wird auch zum Spielball der zahlreichen politischen Umbrüche im Land, die Teile ihrer Familie immer wieder zur Flucht ins Exil zwingen, bis sie als junge Frau schließlich (ohne ihren verhassten Ehemann) selbst die Reise in den Westen antritt und ihrer kaukasischen Heimat für immer den Rücken kehrt.
Dieses Aufwachsen zwischen den Stühlen zeichnet die erwachsene Autorin rückblickend mit viel Witz und einem scharfen Blick für die Absurditäten des Alltags, aber auch einer gehörigen Portion (künstlicher) kindlicher Naivität nach.
Eine überaus lesenswerte Wiederentdeckung, die übrigens nächste Woch auch in einer Übersetzung von Bettina Bach auf Deutsch erscheint.
Eigentlich hatte ich schon länger geplant, euch im Vorfeld der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ein paar auf Deutsch erschienene Bücher aus dem (dies- UND letztjährigen) Gastland Kanada zu zeigen, aber dann wollte ich doch nicht so gern Werbung machen für eine Veranstaltung, die ein verkorkstes Konzept von "Toleranz" und "Meinungsfreiheit" auf dem Rücken Schwarzer Autor*innen austrägt und lieber Rechtsextremen eine Bühne bietet, als sich klar antifaschistisch zu positionieren. Dafür können aber natürlich die kanadischen Autor*innen nichts, zumal es sich bei den Büchern, die ich euch ans Herz legen wollte, um Werke indigener Schriftsteller*innen handelt, die auf dem kanadischen Buchmarkt mit ähnlichen Problemen und Hindernissen zu kämpfen haben dürften wie hierzulande Schwarze Schriftsteller*innen oder andere PoC.
Deshalb hier nun eine Liste mit einigen in den letzten Jahren ins Deutsche übersetzten Büchern indigener Kanadier*innen, die mehr Aufmerksamkeit verdient haben als Nazis:
Split Tooth, den auf Englisch verfassten Debütroman der Inuk-Autorin und Sängerin Tanya Tagaq, habe ich bereits Ende 2019 begeistert gelesen und mich dann umso mehr gefreut, als er Anfang 2020 unter dem Titel Eisfuchs in der Übersetzung von Anke Caroline Burger im Kunstmann Verlag erschienen ist. Der Coming-of-Age-Roman erzählt vom Aufwachsen eines Inuk-Mädchens unter den schwierigen Bedingungen in einer Siedlung im hohen Norden Kanadas und verknüpft dabei die bittere Realität von Armut, Alkoholismus, Missbrauch und kolonialem Erbe mit den Mythen der Inuit.
Bereits letztes Jahr ist im unabhängigen Wieser-Verlag die kleine von Michel Jean herausgegebene Anthologie Amun mit Erzählungen von Autorinnen und Autoren der sogenannten First Nations/Premières Nations der französischsprachigen kanadischen Provinz Québec erschienen, aus dem Französischen übersetzt von Michael von Killisch-Horn. Michel Jean, selbst Innu aus der Gemeinde Mashteuiatsh am Lac Saint-Jean (Québec), ist aber nicht nur Kurator dieser Anthologie, sondern hat mit Kukum, gerade ebenfalls in der Übersetzung von Michael von Killisch-Horn bei Wieser erschienen, auch selbst einen Roman geschrieben, in dem er die Geschichte seiner Urgroßmutter Almanda Siméon erzählt.
„Ich spüre in mir die Verantwortung, unsere Geschichten zu erzählen, die der Innu und der Mitglieder der Ersten Völker. Denn sie kommen praktisch nirgends vor. In den Geschichtsbüchern nehmen sie nur wenig Raum ein. In Nordamerika beginnt die Geschichte mit der Ankunft von Christoph Kolumbus 1492, diejenige Kanadas mit Jacques Cartier 1534. Aber wir leben hier seit 15 000 Jahren. Wenn wir unsere Geschichten nicht erzählen, wer dann?“
Eine weitere Übersetzung aus dem kanadischen Französisch (durch Sonja Finck und Frank Heibert) ist Louis-Karl Picard-Siouis Buch Der große Absturz: Stories aus Kitchike, eine "zugleich traurige und witzige Saga, poetisch und politisch, furios und verzweifelt. Die Lektüre regt an und macht Spaß, konfrontiert aber auch mit dem schwierigen Erbe der Kolonisation und seinen Auswirkungen in einem Kanada, das nur zu gern vergessen möchte, dass es auch einigen Dreck am Stecken hat." (Catherine Parayre, Voix plurielles)
Sonja Finck war in Sachen kanadischer Literatur in letzter Zeit sehr fleißig, denn neben den Stories aus Kitchike hat sie auch noch den neuen Roman der "bekanntesten indigenen frankokanadischen Schriftstellerin der Gegenwart" aus dem Französischen übersetzt. Naomi Fontaines Die kleine Schule der großen Hoffnung folgt der jungen Innu Yammie, die als Lehrerin in das First-Nation-Reservat Uashat im Norden des Staates Québec zurückkehrt, das sie als kleines Mädchen zusammen mit ihrer Mutter zugunsten eines Lebens unter Weißen in der Großstadt verlassen hat. Die Handlung des schmalen Romans erstreckt sich über ein Schuljahr, in dem die junge Lehrerin versucht, ihren Schüler*innen, deren Zukunft von Depression und Alkohol überschattet wird, andere Perspektiven zu bieten und dabei auch viel über sich selbst lernt. Für meinen Geschmack war der Roman mit seinen rund 140 Seiten doch ein bisschen zu knapp, ich hätte mir gewünscht, dass die verschiedenen Figuren, vor allem die Schüler*innen, ein bisschen mehr Tiefe erhalten. Trotzdem fand ich die Schilderung der im Reservat vorherrschenden Probleme ziemlich interessant.
Neben diesen Büchern frankokanadischer indigener Autor*innen sind im letzten und in diesem Jahr auch diverse Bücher anglophoner kanadischer First-Nation-Autor*innen in deutscher Übersetzung erschienen.
Tracy Lindberg war die erste indigene Frau Kanadas, die in Harvard ihr Studium abschloss und an einer kanadischen Universität promovierte, ihr im Marix Verlag in der Übersetzung von Karolin Viseneber und Gesine Schröder erschienener Roman Birdie ist Roadtrip, Traumsuche und Reisebericht in einem und handelt von der gleichnamigen Cree-Frau Birdie, die auf der Suche nach Familie, nach einem Zuhause, nach Verständnis, nach der Bedeutung ihrer Träume "die Universalität weiblicher Erfahrungen, die über Grenzen von Kultur und Ethnie hinausgehen", erkundet.
Um Selbstfindung geht es auch im Roman des Oji-Cree-Autors Joshua Whitehead. Jonny Appleseed (Ü: Andreas Diesel) erzählt auf mitreißende und poetische Art vom Leben eines indigenen, queeren Two-Spirit zwischen Akzeptanz und Ablehnung, zwischen Rebellion und Tradition.
Cherie Dimalines Die Traumdiebe (Ü: Stefanie Frida Lemke) dagegen ist ein Jugendbuch, das im Kanada nach der Klimakatastrophe spielt, in einer harten und unmenschlichen Welt, in der die meisten Menschen die Fähigkeit zu träumen verloren haben. Die wenigen überlebenden Ureinwohner, die dazu noch fähig sind, werden deswegen gnadenlos gejagt.
Spannend geht es auch im Krimi Was in jener Nacht geschah (Ü: Kathrin Razum) der Métis-Autorin Katherena Vermette zu: "In einer kalten Winternacht schaut die junge Mutter Stella aus dem Fenster und bemerkt, dass draußen auf der einsamen Brache vor ihrem Haus ein Mädchen überfallen wird. Voller Furcht ruft sie die Polizei. Als die Beamten eintreffen, finden sich zwar Zeichen eines Kampfes, eine zerbrochene Bierflasche und Blut im Schnee, aber vom Opfer fehlt jede Spur. Und die Beamten haben Zweifel, dass Stellas Aussage, eine Frau sei vergewaltigt worden, der Wahrheit entspricht. Doch es ist die Polizei, die sich irrt."
Zum Abschluss dieser Liste möchte ich euch noch einen ungewöhnlichen Thriller ans Herz legen, der aufzeigt, dass die langen Arme des Kolonialismus auch vor der Apokalypse nicht Halt machen. Mond des verharschten Schnees (orig. Moon of the Crusted Snow, Ü: Thomas Brückner) von Anishinaabe-Autor Waubgeshig Rice handelt von einer kleinen, demselben indigenen kanadischen Volksstamm angehörenden Gemeinschaft, die, ursprünglich aus der Great Lakes-Region stammend, von den weißen kolonialen Eroberern Kanadas zwangsumgesiedelt wurde und seither ihr Dasein unter rauen klimatischen Bedingungen in einem abgelegenen Reservat im hohen Norden Kanadas mit notorisch unzuverlässiger Anbindung an die staatliche Infrastruktur fristet. Als eines Tages erst die Kommunikation zur Außenwelt auf einen Schlag vollständig zusammenbricht und kurz darauf auch noch der Strom ausfällt, setzt Unruhe im Reservat ein. Denn der Winter naht, den Notfallgeneratoren mangelt es an Treibstoff und auch die Lebensmittelvorräte schwinden. Plötzlich taucht ein weißer Fremder auf, der sich in die indigene Gemeinschaft einzuschleichen versucht und mit seinen manipulativen Machtspielchen die Stimmung in der Bevölkerung bald zum Siedepunkt bringt...
Auch wenn die Handlung für meinen Geschmack etwas zu langsam an Fahrt aufgenommen hat, hat mir Waubgeshig Rices postapokalyptischer Thriller insgesamt doch ziemlich gut gefallen, da er den literarischen Fokus auf eine Perspektive lenkt, von der wir bisher viel zu wenig lesen durften, und dabei Fragen aufwirft, die auch in einer vermeintlich postkolonialen Gesellschaft immer noch ziemlich relevant sind.
Das war’s also für heute. Über Feedback, Wünsche, Vorschläge und Anregungen jeder Art freue ich mich immer.
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eure Magda