Magdas literarische Frühjahrsvorschau (Teil 1)
Neue deutschsprachige Belletristik, Sachbücher und Übersetzungen aus dem Englischen
Ihr Lieben,
ihr ahnt es sicher schon aufgrund des Titels dieses Newsletters: ich habe für euch die Frühjahrsvorschauen zahlreicher deutschsprachiger Verlage gesichtet und meine Merkliste ist so umfangreich geworden, dass sie mal wieder den Rahmen einer einzelnen Newsletterausgabe sprengen würde. Deshalb gibt es heute erstmal nur meine Liste mit neuer deutschsprachiger Belletristik, Sachbüchern und aus dem Englischen übersetzter neuerer Belletristik, auf die ich persönlich mich in den nächsten Monaten ganz besonders freue (kein Anspruch auf Vollständigkeit), und nächste Woche oder so folgt dann Teil 2 mit den Übersetzungen aus anderen Sprachen als dem Englischen und mit meiner Lieblingskategorie: Wiederentdeckungen, Neuauflagen und Neu- und Erstübersetzungen älterer Bücher — inklusive Sneak Peek auf die nächsten drei unserer rororo Entdeckungen.
Let’s go!
PS: Ich habe diesmal keine Cover und Links zu den Verlagsseiten mit eingefügt, weil ich dafür bei der großen Menge an erwähnten Büchern schlicht und ergreifend zu faul war — ich vertraue darauf, dass ihr das Googeln der Bücher, die euch interessieren, im Zweifelsfall selber hinkriegt.
Deutschsprachige Belletristik:
Dilek Güngör, A wie Ada (Verbrecher Verlag, 31.1.): Dilek Güngörs vorherigen Roman Vater und ich fand ich schon ziemlich toll, deshalb habe ich mich seit Monaten sehr auf die Geschichte von Ada, die denkt, sie wäre eine einsame Insel und den Umgang mit anderen Menschen oft unangenehm und verwirrend findet, gefreut — und das völlig zu Recht, wie ich nach der Lektüre erfreut bestätigen kann. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie Dilek Güngör es schafft, in so kurze Romane so viel Leben, so viel Humor und Gefühl und Poesie hineinzupacken, wie es manch andere auf viermal so vielen Seiten nicht hinkriegen.
Slata Roschal, Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten (Claassen, 1.2.): Slata Roschals Debütroman 153 Formen des Nichtseins fand ich vor zwei Jahren ziemlich beeindruckend und auch mit ihrem neuen Roman aus der Sicht einer von ihrer Mutterrolle überforderten Übersetzerin, den ich bereits gelesen habe, hat sie mich vor allem mit ihrer Sprache wieder voll in ihren Bann gezogen, auch wenn ich mich inhaltlich durchaus immer wieder an der Erzählerin und ihren Ansichten (die in einigen Fällen durchaus auch den Ansichten der Autorin entsprechen dürften) gestoßen habe.
Barbara Rieger, Eskalationsstufen (Kremayr & Scheriau, 7.2.): Auch Barbara Rieger ist mit ihrem neuen Roman auf meiner Vorfreude-Liste gelandet, weil mir ihr vorheriger Roman Friss oder stirb so gut gefallen hat. In diesem nun geht es um die Beziehungsdynamiken, die zu emotionaler Abhängigkeit und häuslicher Gewalt führen, und das wird bestimmt hart, aber auch gut.
Till Raether, Danowski: Sturmkehre (Rowohlt, 13.2.): In Tills Krimireihe bin ich erst mit dem vorherigen Band Hausbruch eingestiegen, das allerdings mit großer Begisterung, und jetzt muss ich natürlich dringend wissen, wie es in diesem leider nun allerletzten Band mit Adam Danowski weitergeht.
Katrin Schumacher, Liste der gebliebenen Dinge (Leykam, 19.2.): "Katrin Schumacher verwebt literarische Fantastik, Schauerroman und Naturbeobachtung zu einer poetischen Liebesgeschichte", need I say more? Es checkt einfach alle meine literarischen Boxes!
Lana Lux, Geordnete Verhältnisse (Hanser Berlin, 19.2.): Diesen Roman habe ich im Dezember schon gelesen und er hat mich einfach umgehauen; Lana Lux erzählt darin aus der Sicht von Täter, Opfer und der nur vermeintlich unbeteiligten Gesellschaft von einer schleichenden misogynen und antisemitischen Radikalisierung und deren gewaltsamen Konsequenzen.
Evan Tepest, Schreib den Namen deiner Mutter (Piper, 29.2.): Ich habe lange überlegt, ob ich Evan Tepests Debütroman in diese Liste mit aufnehme oder nicht, was aber nichts mit Evan oder dem Buch an sich zu tun hat, sondern mit dessen Verlag Piper, der mit seiner Weigerung, in der Causa Monika Gruber wirkliche Verantwortung zu übernehmen und echte, glaubwürdige Konsequenzen zu ziehen, gerade große Teile der Buch-Bubble völlig zurecht gegen sich aufbringt. Auch ich finde das Verhalten des Verlags, seinen völlig unangemessenen Umgang mit berechtigter Kritik aus der Leser*innencommunity, seine unzureichende Distanzierung von Rassismus und rechter Hetze und seine mangelnde aufrichtige Entschuldigung an die betroffene, nicht nur in Monika Grubers Buch rassistisch verunglimpfte, sondern nun auch online von Rechten beleidigte und bedrohte Bloggerin als Leserin wie als Buchhändlerin völlig inakzeptabel. Trotzdem fühle ich mich mit einem Boykott des Verlages, der v.a. zu Lasten der vielen anderen, unbeteiligten, sich in ihren Büchern für Vielfalt, Toleranz, Demokratie usw. einsetzenden Autor*innen ginge, nicht wohl. Es macht mich wütend, dass das verantwortungslose Handeln von Piper einen Schatten auf die Veröffentlichung von Romanen wie den von Evan Tepest wirft, der sowohl Autor*in als auch Leser*innen wie ich, die bereits von Tepests Essaysammlung Power Bottom sehr beeindruckt waren, so vorfreudig entgegengefiebert haben. Ich möchte nicht, dass Grubers Buch dank rechtskonservativer Trotzkäufer*innen die Bestsellerlisten stürmt, während Bücher wie das von Evan, in dem es — aus queerer Perspektive — um das geht, "was Familien trennt und zusammenhält – das Unausgesprochene", von vornherein die Chance auf einen breiteren Erfolg genommen wird. Ich bin ungemein gespannt auf den Roman und freue mich sehr darauf, ihn bald lesen und empfehlen zu können. Und ich appelliere hiermit nochmal an den Piper Verlag, den eigenen unzulänglichen Umgang mit Kritik zu reflektieren, die internen Prozesse, die zu einer Veröffentlichung solcher rassistischer und verleumderischer Texte wie Grubers führen konnten, gründlich aufzuarbeiten, und vor allem eine künftige Zusammenarbeit mit Autor*innen wie Monika Gruber nochmal gründlich zu überdenken. Möchtet ihr wirklich in einer Zeit, in der AfD und Co. von großflächigen Deportationen träumen, unter dem Deckmantel vermeintlichter "Satire" als Steigbügelhalter*innen rechtspopulistischer Radikalisierung in die Geschichte eingehen?
Edith Löhle, Bible Bad Ass (Leykam, 4.3.): Eine Journalistin, die zu biblischen Frauenfiguren und den Lügen der Kirchenväter recherchiert und plötzlich in eine Chatgruppe mit Magdalena, Maria, Ruth, Lilith und Co. eingeladen wird? Und dann hat das Buch in der ersten Auflage auch noch einen extrem kunstvollen Farbschnitt? Klar will ich das lesen!
Lilly Gollackner, Die Schattenmacherin (Kremayr & Scheriau, 6.3.): In den letzten Jahren sind immer mehr sog. "gender plague"-Romane erschienen, also dys- bzw. utopische Geschichten, in denen auf die eine oder andere Art plötzlich alle Männer an einer Krankheit sterben, getötet werden oder sonstwie spurlos verschwinden. Ich bin dabei grundsätzlich immer etwas skeptisch, weil in diesen Romanen oft von einem starren zweigeschlechtlichen System ausgegangen wird, trans Menschen entweder gar nicht oder nur auf sehr unzulängliche Art und Weise mitgedacht werden. Ich bin gespannt, wie Lilly Gollackner das in ihrem Debütroman, der 2068 ("sengende Hitze, überdachte Städte, rationiertes Wasser") in einer Welt ohne Männer spielt, handhabt.
Zara Zerbe, Phytopia Plus (Verbrecher Verlag, 7.3.): Dystopisch geht es auch in zara Zerbes Debütroman zu, allerdings befinden wir uns hier in den 2040ern, wenn reiche Menschen die Chance haben, die Klimakrise durch ein neues Verfahren zu überleben, in dem das Bewusstsein digitalisiert und auf der DNA einer Pflanze gespeichert wird. Klingt abgefahren und spannend!
Deniz Ohde, Ich stelle mich schlafend (Suhrkamp, 11.3.): Ich bin großer, großer Fan von Ohdes erstem Roman Streulicht und warte seit Jahren sehnsüchtig auf ein neues Buch von ihr. Ich habe von Leuten, die es schon lesen durften, extrem Gutes über diesen zweiten Roman von ihr gehört, der interessanterweise thematisch einige Ähnlichkeiten mit dem bereits erwähnten neuen Lana-Lux-Roman haben soll. Ich bin sehr gespannt auf die direkte Gegnüberstellung und auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Romanen.
Veronika Peters, Nackt war ich am schönsten (Kindler, 12.3.): Von der exzentrischen Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven habe ch erstmals in Kate Zambrenos grandiosem Buch Heroines erfahren und mir seither immer wieder vorgenommen, mich irgendwann mal näher mit dieser schillernden Persönlichkeit zu befassen. Da kommt ein Roman, in dem die 1927 verstorbene Baroness plötzlich in einem oberhessischen Dorf der heutigen Zeit auftaucht, ja wie gerufen!
Mirrianne Mahn, Issa (Rowohlt, 12.3.): Mirrianne Mahn habe ich, wie viele von euch vermutlich, auf dem Schirm, seit sie vor einigen Jahren während der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche spontan das Mikrophon ergriff, um die schon lange immer wieder kontrovers diskutierte Anwesenheit rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse zu kritisieren. Als ich erfahren habe, dass bald ihr Debütroman über eine schwangere afrodeutsche junge Frau erscheint, die auf Wunsch ihrer Mutter nach Kamerun reist, um dort ein traditionelles Heilungsritual durchzuführen, war ich sofort neugierig.
LIQUID CENTER, Wir kommen (DuMont, 13.3.): Ein kollektiv verfasster Roman über weibliche Sexualität und begehren? Sign me up!
Astrid Sozio, Der rechte Pfad (Picus, 13.3.): Romane und Erfahrungsberichte von Menschen, die in streng religiösen, insbesondere christlichen, Verhältnissen aufgewachsen sind, haben mich schon immer fasziniert, vermutlich einerseits, weil ich selbst so gar nicht religiös bin und andererseits, weil ich während meiner Schulzeit mal ein Jahr lang in einer evangelikal-kreationistischen Gastfamilie in den USA gelebt habe.
Michelle Steinbeck, Favorita (park x ullstein, 14.3.): Laut Verlag ist der Roman "ein literarischer Rachekrimi mit eigenwilligem Humor, der Fragen nach Identität, Zugehörigkeit, sexuellem Begehren und patriarchaler Gewalt spielerisch auf den Punkt bringt", und das reicht eigentlich schon, um mich neugierig zu machen.
Luca Mael Milsch, Sieben Sekunden Luft (Haymon, 14.3.): Ich kenne Luca Milsch bisher hauptsächlich als Übersetzer*in und als Lesungsgast im Ocelot, die Beschreibung von Lucas erstem eigenen Roman hat mich aber gleich neugierig gemacht: "Wie verhält man sich, wenn das ganze Universum versucht, einem die Existenz abzusprechen? Wenn man erst lernen muss, mit sich selbst umzugehen, aber auch mit allem Geschehenen, den eigenen Erinnerungen, denen man fast nicht trauen kann. Und das unter den gesellschaftlichen Bedingungen von Misogynie, Heteronormativität, Queerfeindlichkeit, von sozialem und finanziellem Druck?"
Franziska Gänsler, Wie Inseln im Licht (Kein & Aber, 15.3.): Franziska Gänslers Debüt Ewig Sommer war vor zwei Jahren ein totaler Überraschungshit für mich und seitdem habe ich entspannt ihren nächsten Roman erwartet. Diese Geschichte über eine junge Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter an die französische Atlantikküste zurückkehrt, wo vor 20 Jahren ihre kleine Schwester verschwunden ist, hat zwar eine ganz andere Stimmung und ist doch wieder genauso mitreißend wie der Vorgängerroman, ich konnte ihn kaum aus der Hand legen.
Eva Geber, Hélène - Befreiung ins Irrenhaus (Marsyas, 15.3.): Der Marsyas Verlag ist noch ziemlich jung, ich hatte ihn bisher noch überhaupt nicht auf dem Schirm, aber dass ich einen Roman über eine junge Frau zur Zeit der Jahrhundertwende, für die in ihrer unglücklichen Ehe die Psychiatrie zum einzigen Zufluchtsort wird, lesen möchte, erklärt sich, wenn man mich ein bisschen kennt, quasi von selbst.
Simone Scharbert, du, alice (edition AZUR, 18.3.): Über Simones Meisterinnenstück du, alice habe ich hier schon viele viele Male geschwärmt, es ist eines meiner allerliebsten Lieblingsbücher of all time, die ursprüngliche Aufgabe war jetzt aber schon seit einiger Zeit vergriffen; umso mehr freut es mich, dass es nun bald in einer um einen Anhang erweiterten Neuausgabe wieder lieferbar sein wird und ihr es, sofern noch nicht geschehen, auch alle endlich lesen könnt.
Laura Leupi, Das Alphabet der sexualisierten Gewalt (März Verlag, 20.3.): "Wie verändert sich die Wahrnehmung des Zuhauses, wenn eine Person in diesem vermeintlichen »Safe Space« sexualisierte Gewalt erfährt? Wie können wir über Vergewaltigung sprechen, wenn wir selbst das Wort nicht unbefangen aussprechen können?" Ich bin sehr gespannt, welche Antworten Laura Leupi in dieser autofiktionalen Spurensuche, die "Begriffe, fantastische Geschichten und politische Zaubersprüche" versammelt, auf diese Fragen findet.
Mareike Fallwickl, Und alle so still (Rowohlt, 16.4.): Warum ich mich auf Mareikes neuen Roman so ungemein freue, muss ich glaube ich kaum weiter ausführen; der Vorgänger Die Wut, die bleibt spukt immer noch regelmäßig in meinem Kopf herum und lässt sich wohl nur durch einen neuen feministischen Banger aus Mareikes Feder daraus vertreiben.
Kerstin Kempker, Frau im Konjunktiv. Eine Auswilderung (Matthes & Seitz, 2.5.): Die Beschreibung dieses Buches klingt nicht weniger wild als sein Titel, aber irgendwas daran macht mich extrem neugierig, ohne dass ich den Finger darauf legen könnte: "Eines Nachts kommen drei Gestalten im Ostseeort Sellin im Apartment 27 zusammen: die Frau, das Mädchen und Luise. Die Frau liest dem Mädchen, das sie war, dessen Briefe vor, zerreißt sie dann und verfolgt am Bildschirm, wie Luise parallel zum Absturz der russischen Raumstation Mir ihren eigenen Absturz zelebriert. Zugleich versucht auch die Fußnote, in die Handlung einzutreten, nur um die Erzählung immer wieder abzulenken. In diesem vielstimmigen Text prallen Ansichten und Ängste aufeinander: Das Mädchen will nicht in Vergessenheit geraten, während die Frau sich ins eigene Fleisch beißt, um zum Kern zu gelangen."
Saša Stanišić, Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne (Luchterhand, 30.5.): Es gibt wenige zeitgenössische männliche Autoren, von denen ich jedes Buch gelesen habe und jede Neuerscheinung sehnsüchtig erwarte, aber Saša ist definitiv einer davon. Noch dazu geht es in einer der Geschichten hier anscheinend um eine Frau, die gerne Bücher liest, in denen Frauen einsam in der Wildnis verkehren und dort auf Bären stoßen — es ist also basically eine Geschichte über mich!
Sachbücher:
Nicole Seifert, Einige Herren sagten etwas dazu (KiWi, 8.2.): Muss ich dazu überhaupt noch irgendwas sagen? Wir haben uns alle von Nicoles vorherigem Sachbuch die Augen öffnen lassen bzgl. der Rolle von Frauen in der Literaturgeschichte; in ihrem neuen Buch geht sie noch mehr ins Detail und widmet sich den Autorinnen der Gruppe 47, die in den meisten bisherigennliteraturgeschichtlichen Betrachtungen dieser Schriftsteller*innentreffen nur am Rande oder gar nicht erwähnt wurden. Ich war von der frühen Manuskriptfassung des Buchs schon extrem beeindruckt und kann es jetzt kaum erwarten, zu erfahren, was nach dem Lektoratsprozess daraus geworden ist.
Bettina Baltschev, Hölle und Paradies: Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur (Berenberg, 9.2.): Zwischen 1933 und 1950 war der Amsterdamer Querido Verlag die literarische Heimat für viele deutsche Exilschriftsteller*innen, die auf der Flucht vor den Nazis ihre Heimat verlassen mussten. Bettina Baltschev spürt im heutigen Amsterdam dem Leben dieser Schriftsteller*innen und ihrer Verleger*innen nach.
Annika Brockschmidt, Die Brandstifter (Rowohlt, 13.2.): Diesen Herbst sind wieder Wahlen in den USA und Annika Brockschmidts Geschichte der Radikalisierung der Republikanischen Partei scheint mir dafür eine gute Begleitlektüre zu sein.
Marion Gibson, Hexen. Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute (Ü: Karin Schuler/Thomas Stauder, Aufbau, 14.2.): Dass ich quasi an keinem Buch über Hexen, sei es ein Roman oder ein Sachbuch, vorbeigehen kann, ohne es mir genauer anzugucken, dürfte hier eigentlich niemanden mehr wundern.
Nicole Henneberg, Gabriele Tergit. Zur Freundschaft begabt (Schöffling, 22.2.): Gabriele Tergit ist für mich eine der besten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts und ich bin dem Schöffling Verlag so dankbar dafür, dass er sich ihrer Wiederentdeckung und literaturgeschichtlichen Rehabiltierung so vollumfänglich widmet. Nicole Hennebergs Biografie ist die dringend nötige einordnende Ergänzung zu den ganzen tollen Neuauflagen von Tergits eigenem Werk, die in den letzten Jahren erschienen sind.
Simon Sahner/Daniel Stähr, Die Sprache des Kapitalismus (S. Fischer, 13.3.): Wirtschaftliche Themen lasse ich mir schon lange am liebsten von Daniel Stähr und literaturwissenschaftliche von Simon Sahner erklären (Disclaimer: ich bin auch mit beiden befreundet) — was für ein Glück also, dass die beiden jetzt zusammen ein Buch geschrieben haben, das beide Expertisen miteinander vereint!
Isabella Caldart, Nirvana. 100 Seiten (Reclam, 20.3.): Wenn ich ehrlich bin, habe ich den Kultstatus von Nirvana und Kurt Cobain nie so ganz verstanden, aber ich hoffe, dass Isi (Disclaimer: wir sind persönlich befreundet) mir auf 100 Seiten schlüssig erklären kann, wo die große Begeisterung für diese Band, mit deren Musik und sonstiger Geschichte ich mich bisher wenig auseinandergesetzt habe, herrührt.
Nastassja Martin, Im Osten der Träume (Ü: Claudia Kalscheuer, Matthes & Seitz, 28.3.): Seit ich vor einigen Jahren Nastassja Martins erstes auf Deutsch erschienenes Buch An das Wilde glauben über die Folgen ihrer lebensgefährlichen Begenung mit einem Bären gelesen und geliebt habe, warte ich sehnsüchtig darauf, dass noch mehr von ihr übersetzt wird und jetzt ist es endlich so weit. Martin begibt sich wieder nach Kamchatka und berichtet diesmal von einem Even-Kollektiv, "das in der Sowjetunion gezwungen war, in Kolchosen sesshaft zu werden, und nach dem Zusammenbruch des Regimes beschloss, in den Wald zurückzukehren, um eine autonome Lebensweise neu zu erfinden."
Mely Kiyak, Dieser Garten. Die unglaublich fabelhaften Nonnen aus Fulda und ihre genialen Erfindungen (mikrotext, März 2024): Es geht um Nonnen, damit ist eigentlich alles gesagt!
Unter Frauen. Geschichten vom Lesen und Verehren (Rowohlt, 14.5.): "Diese Anthologie tut das, was Männer schon immer, vielleicht auch einmal zu oft gemacht haben: literarische Vorbilder feiern. In Unter Frauen werden jedoch ausnahmslos Autorinnen zelebriert. Schriftstellerinnen schreiben über Schriftstellerinnen, die prägend für ihr eigenes Werk sind, über Bücher, die wir alle lieben, und über welche, die kaum eine von uns in ihrem Bücherregal stehen hat." Diese Anthologie mit Texten von Gabriele von Arnim, Simone Buchholz, Ulrike Draesner, Mareike Fallwickl, Yael Inokai, Rasha Khayat, Mirrianne Mahn, Daria Kinga Majewski, Jacinta Nandi, Deniz Ohde, Jovana Reisinger, Ruth-Maria Thomas, Kathrin Weßling und einem Vorwort von Maria-Christina Piwowarski wurde quasi extra für mich persönlich konzipiert.
Lena Kampf, Daniel Drepper, Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie (Eichborn, 31.5.): Ich werde immer noch jedesmal wütend, wenn ich den Namen Rammstein nur höre/lese. Lena Kampf und Daniel Drepper haben sich letztes Jahr durch ihre Recherchen zu den Vorwürfen gegenüber Till Lindemann und Co. sehr hervorgetan und ich bin nun sehr gespannt auf die tiefergehende Analyse der Missbrauch begünstigenden Machtstrukturen in der Musikindustrie, die ein ganzes Buch allein aufgrund des größeren Umfangs (im Vergleich zu Zeitungsartikeln) ermöglicht.
Internationale Literatur (Teil 1)
Becky Chambers, Ein Psalm für die wild Schweifenden/Ein Gebet für die achtsam Schreitenden (Ü: Karin Will, Carcosa Verlag, 15.1.): Ich habe noch nie etwas von Becky Chambers gelesen, obwohl sie mir von SciFi-Fans schon mehrfac wärmstens empfohlen wurde. Die Duologie über den menschlichen Teemönch Dex und den wilden Roboter Helmling, die in einer fernen Zuunftswelt Freundschaft miteinander schließen, klingt nach einem guten Einstieg in ihr Werk.
Jasper Fforde, Rot (Ü: André Mumot, Eichborn, 6.2.): Ich bin schon seit vielen vielen Jahren großer Fan von Jasper Ffordes Werk, begonnen hat für mich damals alles mit seiner unglaublich witzigen Reihe um die Literaturdetektivin Thursday Next. Der erste Band seiner Farbdystopie Grau (engl. Shades of Grey — Achtung, enthält kein S&M!) ist vor inzwischen 14 Jahren erschienen und ich erinnere mich noch gut, wie toll ich die Lesung mit Fforde fand, die ich damals in einer Erlanger Thalia-Filiale besucht habe. Jetzt erscheint endlich, endlich die Fortsetzung, und dann auch noch übersetzt von André Mumot, den ich auch als Romanautor sehr schätze.
Ferdia Lennon, Glorreiche Taten (Ü: Thomas Überhoff, Rowohlt, 13.2.): Dieser Debütroman eines irisch-libyschen Autors vereint zwei meiner literarischen Obsessionen auf faszinierende Weise. Er spielt nämlich im antiken Syrakus, wo zwei arbeitslose Töpfer davon träumen, zusammen mit einer Truppe athenischer Kriegsgefangener Euripides’ Tragödie Medea aufzuführen. Erzählt wird das ganze aber nicht im Stil typischer historischer Romane, sondern im Sprachduktus moderner irischer erzählender Literatur, wie ich ihn in den Romanen von Autorinnen wie Louise Kennedy oder Audrey Magee so liebe. Ich habe das englische Original schon zu lesen begonnen und bin begeistert darüber, wie gut der Mix von griechischer Antike und modernem irischen Slang funktioniert und bin sehr gespannt, ob das auch in der deutschen Übersetzung einigermaßen transportiert wird.
Daniel Mason, Oben in den Wäldern (Ü: Cornelius Hartz, C.H. Beck, 15.2.): Masons Roman habe ich Anfang Januar im englischen Original (North Woods) gelesen und war so hin und weg von dieser Geschichte eines Hauses in den Wäldern von Massachussetts und den unterschiedlichen Bewohner*innen, die dort im Laufe der Jahrhunderte Schutz finden, dass ich die über 300 Seiten an eineinhalb Tagen verschlungen habe. Es geht um Äpfel, koabhängige Geschwisterbeziehungen, queere Künstler, Pumas, Geisterbeschwörungen, Käfersex und vieles mehr.
Nana Kwame Adjei-Brenyah, Chain-Gang All-Stars (Ü: Rainer Schmidt, Hoffmann & Campe, 5.3.): Adjei-Brenyahs Kurzgeschichtensammlung Friday Black, die vor ein paar Jahren erschienen ist, enthält einige meiner liebsten Erzählungen überhaupt, deshalb bin ich extrem gespannt auf seinen ersten Roman über die beiden Häftlinge Loretta Thurwar und Hurricane Staxx, die im Amerika der nahen Zukunft als moderne Gladiatorinnen jeden Tag aufs Neue in einen Kampf auf Leben und Tod getrieben werden.
Waubgeshig Rice, Mond des gefärbten Laubs (Ü: Thomas Brückner, Wagenbach, 14.3.): Ich mochte schon den Vorgängerroman Mond des verharschten Schnees, der in einer isolierten indigenen Gemeinschaft im Norden Kanadas spielte, sehr gerne und bin sehr gespannt, wie es mit der kleinen Anishinaabe-Gruppe, die am Ende des ersten Buchs vor einer Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes aus ihrem Reservat in die Wildnis geflohen ist, weitergeht.
Bernardine Evaristo, Zuleika (Ü: Tanja Handels, Tropen, 16.3.): Dieser historische Versroman (Original: The Emperor’s Babe) aus der Sicht einer jungen Schwarzen Frau im römisch besiedelten Britannien war vor Jahren das erste Buch, das ich von Evaristo gelesen habe, noch bevor sie mit Girl, Woman, Other dann internationale Berühmtheit erlangte. Ich freue mich sehr, dass er nun endlich auch auf Deutsch verfügbar ist.
Svetlana Lavochkina, Carbon. Ein Lied von Donezk (Ü: Diana Feuerbach, Voland & Quist, 18.3.): In diesem Roman, der laut Verlag zugleich "Thriller, Lovestory, Lebenslauf, historische Windrose, Handwerkerlied, Ontologie der ostukrainischen Seele" ist, spielt u.a. eine Linguistin die Hauptrolle, und das finde ich als studierte Sprachwissenschaftlerin (M.A. in Indogermanistik) immer sofort interessant.
Dima Alzayat, Alligator und andere Storys (Ü: Jan Karsten, CulturBooks, 18.3.): Es ist schon in paar Jahre her, dass CulturBooks-Verlegerin Zoë Beck mich gebeten hat, mal in Dima Alzayats Kurzgeschichten über verschiedene syrisch-amerikanische Figuren, die sich als Spielbälle von Krieg, Politik und anderen Machtkämpfen zu behaupten versuchen, reinzulesen und ihr zu sagen, ob ich sie für eine deutsche Übersetzung geeignet halte. Auch wenn es jetzt ein wenig länger gedauert hat, bis es endlich soweit ist, könnt ihr euch in Anbetracht dieser Ankündigung denken, wie meine Antwort ausfiel.
Liz Nugent, Seltsame Sally Diamond (Ü: Kathrin Razum, Steidl, 28.3.): Der Steidl Verlag ist sehr bemüht darum, irische Literatur auf dem deutschspachigen Markt bekannt zu machen (u.a. erscheinen dort Claire Keegan und Louise Kennedy auf Deutsch) und hat dabei bisher immer ein ziemlich gutes Händchen bewiesen, weshalb ich hohe Erwartungen an diesen Psychothriller über eine Hauptfigur, "die so entwaffnend ehrlich, liebenswert und einzigartig ist, dass man sie nicht vergisst" sein soll, habe.
Benjamin Myers, Cuddy (Ü: Werner Löcher-Lawrence, DuMont, 16.4.): Benjamin Myers hat ja mit seinem Roman Offene See vor einigen Jahren die Herzen der deustchen Leser*innen im Sturm erobert und ich muss gestehen, dass ich da deshalb nie richtig reingeguckt habe, weil es sich "von alleine verkauft". Myers neuer Roman dagegen liegt im englischen Original schon seit einigen Monaten auf meinem Lesestapel und ich arbeite mich langsam aber sicher zu ihm vor, denn der letzte von mir gelesene Roman, der "Poesie und Prosa, verschiedene Textarten und reale historische Begebenheiten" verbindet und dabei "einen Bogen über verschiedene Epochen" spannt, hat mich extrem begeistert (Daniel Masons North Woods, siehe oben), deshalb habe ich auch auf Myers’ Geschichte rund um verschiedene Inkarnationen des heiligen Cuthbert goße Lust.
Hilary Leichter, Luftschlösser (Ü: Gregor Runge, Arche, 17.4.): Leichters Debütroman Die Hauptsache, eine surreale und extrem witzige Satire auf die moderne Arbeitswelt, habe ich vor einigen Jahren mit großem Vergnügen gelesen, deshalb hätte ich mir ihr nächstes Buch so oder so genauer angeschaut, aber dann passiert der Familie in dem Roman auch noch eine Sache, die mir in ähnlicher Form ständig in meinen Träumen passiert und sich nach dem Aufwachen dann zu meinem großen Bedauern doch immer als Illusion erweist: "Hinter der Tür des verstaubten Wandschranks verbirgt sich auf einmal eine wunderschöne Terrasse."
Rivka Galchen, Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist (Ü: Grete Osterwald, Rowohlt, 14.5.): Wie kann man so einem Titel widerstehen? Es geht in diesem historischen Roman um den Hexenprozess der Katharina Kepler, Mutter des berühmten Astronomen, und ich bin sehr gespannt, wie Galchen dieses historisch belegte Ereignis literarisch verarbeitet.
Elizabeth O’Connor, Die Tage des Wals (Ü: Astrid Finke, Blessing, 15.5.): Der Plot dieses Debütromans, der auch auf Englisch erst noch erscheinen wird, klingt ehrlich gesagt teilweise sehr ähnlich wie die Handlung des als nächstes erwähnten Romans von Audrey Magee, nur dass es bei O’Connor um eine abgelegene walisische statt um eine irische Insel, um ein englisches Ethnolog*innenpaar statt einen französischen Linguisten und einen englischen Maler und um eine junge Frau statt einen jungen Mann, die jeweils von einer Zukunft auf dem Festland träumen, geht. Umso gespannter bin ich, wo die Unterschiede zwischen beiden Romanen liegen werden und wie sich O’Connors Buch im Vergleich mit Magees Meisterinnenwerk schlagen wird.
Audrey Magee, Das Habitat (Ü: Nicole Seifert, Nagel & Kimche, 21.5.): Audrey Magees Roman über Kunst, Sprache und Identität, über die Nachwirkungen der englischen Kolonialherrschaft in Irland und die Gewalt im Nordirlandkonflikt war im englischen Original (The Colony) eines meiner Lieblingsbücher im letzten Jahr und ich freue mich so, dass es in der Überstzung von Nicole, die mich mit ihrer Begeisterung für den Roman überhaupt erst auf die Lektüre gebracht hat, bald auch auf Deutsch erscheint.
Selby Wynn Schwartz, Wir waren Sappho (Ü: Luca Mael Milsch, Schöffling, 23.5.): Dieser vielstimmige, episodenhafte Roman, der in Form einer fiktionalisierten Biografie "den Erlebnissen einer Gruppe genialer Feministinnen, Queers, Künstlerinnen und Schriftstellerinnen der Jahrhundertwende, die sich allesamt nicht ins Frauenbild ihrer Zeit fügen wollen, auf ihrem Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung" folgt, ist u.a. deshalb besonders interessant für mich, weil es darin auch um die italienische Autorin Sibilla Aleramo geht, die im zweiten Teil meiner Frühjahrsvorschau in der Kategorie "Wiederentdeckungen" noch eine Rolle spielen wird.
Daisy Johnson, Die Schwestern (Ü: Birgit Maria Pfaffinger, btb, 10.7.): Diesen herrlich verwirrenden Schauerroman von Daisy Johnson habe ich schon vor zwei Jahren oder so auf Englisch gelesen und muss immer noch regelmäßig an einzelne Details daraus denken. Wenn ihr Romane wie z.B. Julia Armfields Our Wives under the Sea oder auch Shirley Jacksons We Have Always Lived in the Castle mochtet, solltet ihr euch unbedingt auch diesen klaustrophobisch anmutenden Roman über eine komplizierte Schwesternbeziehung angucken.
Das war’s für heute. Welche Bücher habe ich in meiner Aufzählung übersehen, worauf freut ihr euch in diesem Bücherfrühjahr ganz besonders? Über Feedback, Wünsche, Vorschläge und Anregungen jeder Art freue ich mich immer.
Den nächsten Newsletter mit Teil 2 der Frühjahrsvorschau werde ich verschicken, wann immer ich ihn fertig habe. Bis dahin findet ihr mich mit buchnahem Content auf Instagram und neuerdings auch auf BlueSky.
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Ich wünsche euch einen guten Start ins neue Lesejahr, auf bald!
Eure Magda
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Vielen Dank! Hab mir die Liste ausgedruckt, zwecks besserer Übersicht. Besonders freu ich mich auf die 2 Bücher von Nicole Seifert, einmal das Sachbuch, einmal die Übersetzung. Und auf "Du, Alice". Und auf Franziska Gänsler und Lana Lux bin ich sehr gespannt.
Ich weiß nicht, ob du etwas übersehen hast, aber "erwartet" hätte ich auch Diane Oliver. Oder hast du das weggelassen, weil es eh schon gut Publicity bekommt?
Vielen Dank auch für die so treffenden Worte zum Piper Verlag.
Will be looking at a few of these more closely with my translator/publisher hat on. Think they might work as crime novels (with added social commentary) for Corylus Books.